NOTIERT IN LONDON

Unter Hipstern

Der jüngste Rückgang der Immobilienpreise in der britischen Metropole mag seinen Grund haben: New York droht London als Heimstatt der Superreichen den Rang abzulaufen. Für Ultra High Net Worth Individuals (UHNWIs) war die Stadt an der Themse als...

Unter Hipstern

Der jüngste Rückgang der Immobilienpreise in der britischen Metropole mag seinen Grund haben: New York droht London als Heimstatt der Superreichen den Rang abzulaufen. Für Ultra High Net Worth Individuals (UHNWIs) war die Stadt an der Themse als Wohnort zuletzt äußerst angesagt, auch wenn man als Mitglied der saudischen Königsfamilie seinen vergoldeten Lamborghini hier nicht richtig ausfahren kann. Im vergangenen Jahr lebten dem Wealth Report zufolge 4 364 Personen mit 30 Mill. Dollar an investierbaren Mitteln und mehr in London. Binnen zehn Jahren wird aber New York der Analyse von Knight Frank zufolge für UHNWIs wichtiger sein. Die Oligarchen dieser Welt erweisen sich damit nicht gerade als experimentierfreudig, aber auch ihnen ist offenbar klar geworden, dass das Leben an der Themse viel von seiner Attraktivität verloren hat. Anderen europäischen Großstädten steht ein noch herberer Abstieg bevor, denn in der Statistik dürfte sich zunehmend das dramatische Wachstum des Wohlstands in Asien bemerkbar machen.Die Prinzen aus dem Morgenland ziehen weiter, aber viel billiger wird es deshalb nicht werden. Wie Berlin wird London zunehmend von Kreativarbeitern bevölkert. Plötzlich wird die Stadt von jedem für großartig gehalten, der “in” sein will. Die vermögenden neuen Bewohner von Brixton, Hackney oder Tower Hamlets nutzen ihre künstlerischen Fähigkeiten vor allem dazu, Verkaufsprospekte für Anlageprodukte zu gestalten oder knackige Werbesprüche für Rentensparverträge zu erfinden. Die technisch versierteren jungen Wilden programmieren Apps, mit denen man beim Imbiss um die Ecke in Echtzeit bestellen kann. Einfach nur Kunst machen an diesen Orten nur noch Kinder von schwäbischen Wirtschaftsprüfern oder Zahnärzten aus Oer-Erkenschwick, sonst kann sich das keiner mehr leisten. Das verbliebene Restelend vor der Haustür empfinden sie als urig und irgendwie authentisch. Die bisherigen Einwohner von Brick Lane im Osten des Finanzviertels haben weder das Geld noch das Interesse, im Café Cereal Killer hochpreisige Frühstücksflocken zu sich zu nehmen – es gibt 120 Sorten, und auch bei der Milch zieht Gründer Gary Keely alle Register. Einem Reporter von Channel 4, der wissen wollte, ob sich die Nachbarn sein Angebot leisten können, sagte Keely, ihm gefalle die Frage nicht. So einfach ist das in der Postmoderne. Jedem das Seine. In früheren Elendsvierteln schießen Zahnreinigungsstudios wie Pilze aus dem Boden. Pubs und Fischfrittierer müssen Niederlassungen amerikanischer Kaffeehausketten, Babymodeläden und Fitnessstudios weichen. Die Arbeit machen Leute, die sonst wo wohnen. Sozialwohnungen werden privatisiert oder gleich abgerissen. Eine Kindergärtnerin kann sich Battersea mittlerweile ebenso wenig leisten wie Bauarbeiter, Busfahrer oder Krankenschwestern.Ein Gutes könnte die Übernahme von immer größeren Teilen der Stadt durch den gehobenen Mittelstand allerdings haben: Der konsumbewusste Hipster legt großen Wert auf eine saubere Umwelt, und da gibt es noch einiges zu tun. Im Safe Cities Index 2015 der Economist Intelligence Unit erreichte London nur Platz 18 – und das obwohl auf sechs Einwohner eine Überwachungskamera kommt. Denn auch die Gesundheitsrisiken durch die immense Luftverschmutzung in der britischen Hauptstadt gingen in die Auswertung mit ein. Es sterben viel zu viele Radfahrer auf den überfüllten Straßen. Dabei ist ein Drahtesel für 5 000 Pfund und mehr doch das Erkennungszeichen der neuen Leistungsträger.In der aktuellen Erhebung von Mercer zur Lebensqualität für Expats kommt London gerade einmal auf Platz 40, befindet sich damit aber immer noch an der Spitze der britischen Städte. Die zu Marsh & McLennan gehörende Beratungsgesellschaft führt diese Studie alljährlich durch, um Unternehmen, die Mitarbeiter ins Ausland schicken, Anhaltspunkte für eine angemessene Vergütung zu geben. Weit abgeschlagen folgen Birmingham (52), Glasgow (55), Aberdeen (57) und Belfast (62). Mit München (4), Düsseldorf (6) und Frankfurt (7) fanden sich dagegen gleich drei deutsche Städte unter den weltweiten Top 10. Deutschlands Hipster-Metropole Berlin schaffte es immerhin auf Platz 14.