Europa sucht seine Zukunft

Unterkühltes Verhältnis

50 Jahre nach den èlysée-Verträgen kaum noch Begeisterung für die deutsch-französische Freundschaft

Unterkühltes Verhältnis

Von Gesche Wüpper, Paris”Achtung”, prangte kürzlich in großen Buchstaben auf dem Titelblatt der linksliberalen Tageszeitung “Libération” neben einem Bild von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Denn die Sorgen, die Deutschland im Hinblick auf die wirtschaftlichen Probleme der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone hegt, gehen an Frankreich nicht spurlos vorbei. Sie stoßen sogar eher auf Zustimmung.Deutschland ist der wichtigste Partner Frankreichs in Europa. Doch 50 Jahre nachdem Charles de Gaulle und Konrad Adenauer am 22. Januar 1963 die èlysée-Verträge unterzeichneten, ist der deutsch-französische Motor ins Stottern geraten. Und trotz der Skepsis auch in Frankreich ob der eigenen ökonomischen Lage verbittet man sich, dass Deutschland sich in die nationale Wirtschaftspolitik seiner Nachbarn einmischt.Wenn der deutsch-französische Ministerrat anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten in Berlin tagt, wird es deshalb vor allem um das Erreichte gehen. Wegweisende neue Projekte sind jedoch nicht zu erwarten. Dass ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme und Saint-Gobain-Verwaltungsratschef Jean-Louis Beffa den Auftrag erhalten haben, einen Entwurf für den “Airbus der Zukunft” vorzulegen, sollte da nicht über Unstimmigkeiten hinwegtäuschen.Egal ob Unternehmenschef, Gewerkschaftsvertreter oder Politiker: Wer derzeit mit Franzosen über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Frankreichs spricht, bekommt meist anerkennende Worte für die Bundesrepublik zu hören. Es ist eine Mischung aus Bewunderung und Neid, die dabei durchklingt. Denn die Kräfteverhältnisse innerhalb der deutsch-französischen Beziehungen haben sich seit 1963 verschoben. Zwar war die deutsche Wirtschaft bereits damals dynamischer als die französische, doch Frankreich konnte innerhalb Europas dank seines Status als alliierte Siegermacht und als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Führungsrolle beanspruchen. Mit der Wiedervereinigung erhielt Deutschland jedoch seine volle Souveränität zurück und führte danach die erforderlichen Wirtschaftsreformen durch.Eigentlich sind Deutschland und Frankreich angesichts der europäischen Schuldenkrise mehr denn je aufeinander angewiesen. Doch lösen die deutsch-französischen Beziehungen in Frankreich keine Begeisterungsstürme aus. Denn die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Freundschaft mit dem ehemaligen Feind einer Revolution glich, ist für die heutige Generation nicht mehr nachzuvollziehen. Mehr noch: Für die stets auf den Erhalt ihrer Souveränität bedachten Franzosen ist es inakzeptabel, wenn ihnen Berlin wie jetzt Lektionen erteilen will. Vor allem bei der Linken und dem linken Flügel der sozialistischen Regierungspartei wird das als Diktat empfunden. Vergleiche zwischen Merkel und Bismarck werden gezogen, Deutschland strebe eine Vorherrschaft in Europa an, heißt es.Präsident François Hollande distanzierte sich nach seiner Wahl ebenfalls vom Nachbarland und erklärte, die Zeit des exklusiven deutsch-französischen Duopols sei vorüber. Das dürfte auch eine Reaktion darauf gewesen sein, dass Merkel seinen konservativen Gegner Nicolas Sarkozy im Wahlkampf öffentlich unterstützt hatte. Zwar ernannte Hollande mit Jean-Marc Ayrault bewusst einen Deutschlandkenner als Premierminister, doch die deutsch-französischen Beziehungen sind noch immer so unterkühlt wie lange nicht mehr.Auch die europapolitischen Vorstellungen beider Länder divergieren. Hollande wünscht sich mehr Solidarität und Wachstum, eine Aufweichung der 3 %-Defizitgrenze und Euroland-Bonds. Vor einer Reform der EU-Verträge möchte er die Wirtschafts- und Währungsunion vertiefen. Die Erinnerung an 2005, als 55 % der Franzosen in einem Referendum gegen die EU-Verfassung gestimmt hatten, sitzt in Paris noch tief. Und angesichts der Krise wächst die EU-Skepsis sogar noch weiter.