NOTIERT IN BERLIN

Unterm blau-goldenen Sternenbanner

Wer in Berlin den Bundestag passiert, wird in diesen Tagen unweigerlich an Europa erinnert. Zwar ist wieder Ruhe in der Stadt eingekehrt, nachdem noch am Donnerstag mitten in der Parlamentspause quirliger Auftrieb im Reichstagsgebäude war. Die...

Unterm blau-goldenen Sternenbanner

Wer in Berlin den Bundestag passiert, wird in diesen Tagen unweigerlich an Europa erinnert. Zwar ist wieder Ruhe in der Stadt eingekehrt, nachdem noch am Donnerstag mitten in der Parlamentspause quirliger Auftrieb im Reichstagsgebäude war. Die Volksvertreter räumten in einer Sondersitzung die Hürden für die europäischen Hilfen an Spaniens Banken beiseite. Doch auch jetzt lässt das Reichstagsgebäude aus der Ferne betrachtet keinen Zweifel daran aufkommen, dass Europa in Berlin präsent ist. Auf seinen vier Türmen flattern ebenso viele Fahnen im Wind. Auf dreien die Bundesflagge in Schwarz-Rot-Gold, auf dem vierten aber, dem Südostturm, die europablaue mit dem Kreis von zwölf goldenen Sternen. *Dies war keineswegs immer so. Nun ist die Europaflagge zwar durchaus im politischen Berlin präsent. Der Osteingang, durch den die Abgeordneten den Bundestag betreten, und der Westeingang, den Besucher benutzen, sind jeweils auch mit einer Europafahne beflaggt, ebenso wie der Plenarsaal. Auf den vier Türmen aber waren lang nur vier gleiche, schwarz-rot-goldene Banner zu sehen. Es läge nahe, wegen der Europafahne die spanische Regierung im Komplott mit dem Flaggenmeister des Bundestags zu vermuten. Der Herr der Flaggen, José Cases, besitzt nämlich einen spanischen Pass – vermutlich als einziger deutscher Beamter. Er kam aber schon mit drei Jahren nach Deutschland und war bereits in Bonn beim Parlament beschäftigt. Die Entscheidung, die Europaflagge dauerhaft zu hissen, hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) selbst vor mehr als einem Jahr gefällt. Bis dahin wehte diese auf dem Dach nur zu besonderen Anlässen, zum Europatag am 9. Mai oder bei der Wahl zum Europaparlament. *Man könnte auch bei der SPD die besseren Europäer vermuten als bei anderen Parteien, weil diese ihre Fraktionsräume im Südostturm direkt unter dem blau-goldenen Sternenbanner hat. Die fünf Bundestagsfraktionen sind auf die vier Türme verteilt – Linke und Grüne müssen im Südwestturm zusammenrücken. Doch laut Bundestag gibt es keinen besonderen Grund, warum die Wahl für die Flagge auf den Südostturm gefallen ist. Vielleicht hat es mit den allegorischen Figuren “Rechtspflege” und “Staatskunst” zu tun, die diesen Turm zieren und in Europa derzeit mehr gebraucht werden als etwa “Ackerbau”, “Viehzucht”, “Weinbau” und “Bierbrauerei” am Südwestturm des 1894 im Stil der Neorenaissance vollendeten Reichstags. Lammert jedenfalls will die dauerhafte Präsenz der Fahne durchaus als wohlwollende Mahnung verstanden wissen. Die Entscheidung für die ständige Beflaggung falle in eine Situation, in der die Schuldenkrise einiger Euro-Länder den Zusammenhalt der Gemeinschaft vor große Herausforderungen stelle, konstatierte er. Dies sei “keine beabsichtigte, mir gleichwohl natürlich bewusste Koinzidenz”.