„Unternehmen sollten einen Beitrag zur politischen Debatte leisten“
Im Interview: Melanie Kreis
„Zivilgesellschaftliches Engagement ist ein hohes Gut“
Die Präsidentin des Deutschen Aktieninstituts über die Rolle von Unternehmen in der Debatte über Demokratie und Populismus
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Demokratie gilt in der deutschen Wirtschaft als zentraler Standortfaktor. Melanie Kreis, CFO der DHL Group, äußert sich als Präsidentin des Deutschen Aktieninstituts anlässlich des Jubiläums 75 Jahre Grundgesetz zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen.
Frau Kreis, als Präsidentin des Deutschen Aktieninstituts haben Sie auf dem Jahresempfang des Instituts unterstrichen, es seien alle gefordert, um rechtspopulistischen und europakritischen Tendenzen entgegenzutreten. Deutschland feiert 75 Jahre Grundgesetz. Was können Unternehmen beitragen, um die Demokratie zu stärken?
Der Satz „Demokratie, das sind wir alle“ klingt vielleicht wie eine Phrase, doch er enthält eine wichtige Botschaft. Die Verantwortung für die Demokratie setzt beim Individuum an. Alle Bürgerinnen und Bürger tragen diese Verantwortung gleichermaßen. Wir sollten nicht darauf warten, dass uns Politik oder Unternehmen diese Verantwortung abnehmen. Zivilgesellschaftliches Engagement ist deshalb ein hohes Gut. Aber auch wenn die Verantwortung und die Wahlentscheidung bei jedem Einzelnen liegen, können und sollten Unternehmen trotzdem einen Beitrag zur politischen Debatte leisten. Dabei geht es vor allem darum, offen auf die Konsequenzen populistischer Politik für Wirtschaft und Wohlstand hinzuweisen.
Wie wichtig sind eine starke Verfassung und Demokratie für einen Wirtschaftsstandort? Unternehmen bewegen sich ja in der Regel weltweit, also auch in Regionen mit schwach ausgeprägten demokratischen Strukturen.
Wirtschaftlicher Erfolg basiert auf vielen Säulen. Auch Autokratien und totalitäre Regime können wirtschaftlich erfolgreich sein – zumindest temporär. Doch wissenschaftliche Untersuchungen unterstreichen die Bedeutung demokratischer Prinzipien für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region. Eigenschaften wie Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und die Begrenzung exekutiver Macht scheinen sich langfristig positiv auf Produktivität und Wohlstand auszuwirken. Diese Eigenschaften sind weltweit unterschiedlich stark ausgeprägt und spielen bei Investitionsentscheidungen immer eine Rolle. Unternehmen investieren gerne in Regionen mit einer großen Rechtssicherheit – das zeigen auch die globalen Kapitalströme.
Werden deutsche Unternehmen auf Investoren- oder Kundenseite auf den zunehmenden Rechtspopulismus in Europa angesprochen? Stellen die Emittenten fest, dass internationale institutionelle Anleger dies als Risiko und Standortnachteil für den deutschen Kapitalmarkt bewerten?
Investoren beobachten die politische Landschaft als relevante Standortbedingung sehr genau. Und ja, deutsche Unternehmen und die Mitglieder des Deutschen Aktieninstituts werden darauf angesprochen, wie sie den Aufstieg populistischer Parteien in Deutschland und Europa bewerten. Ganz grundsätzlich gelten Europa und Deutschland jedoch gerade im internationalen Vergleich weiterhin als politisch stabile und verlässliche Standorte.
Als Gefahr für die Demokratie gelten eine starke Polarisierung in der Gesellschaft und soziale Ungleichheit. Können Unternehmen hier helfen gegenzusteuern? Der Reifenkonzern Michelin etwa soll ein auskömmliches Einkommen für alle seine Beschäftigten weltweit angekündigt haben.
Ich denke, die Antwort ist ja und nein zugleich. Unternehmen mit starken Werten können ein positives Beispiel für ihre Mitarbeitenden, Kunden und Lieferanten sein. Es ist deshalb wichtig, dass Unternehmen sich klar zu ihren Werten bekennen und dafür auch einstehen – zum Beispiel durch die Anwendung eines Verhaltenskodex. Ob die Unternehmenswerte aber auch über die Arbeitswelt hinaus auf die Mitarbeitenden abstrahlen, lässt sich nur schwer sagen.
Werte sind das eine, Bezahlung spielt aber auch eine Rolle?
Die Bezahlung ist sicherlich eine wichtige Komponente für die Zufriedenheit von Mitarbeitenden. Das Einkommen alleine scheint jedoch kein Allheilmittel gegen gesellschaftliche Polarisierung zu sein. Es handelt sich um eine weltweite Erscheinung, die einkommensstarke wie einkommensschwache Gesellschaften betrifft.
Mit Blick auf die Europawahlen haben Sie als Stimme des Deutschen Aktieninstituts hervorgehoben, dass die EU ein Garant für Demokratie und Wohlstand ist. Sie fordern gleichzeitig einen engeren Austausch der EU-Institutionen mit den Unternehmen, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken. Finden Unternehmen zu wenig Gehör in Brüssel?
Der europäischen Idee und der Europäischen Union gehören große Anerkennung für ihren Beitrag zu Demokratie, Sicherheit und Wohlstand auf dem Kontinent. Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit war seit jeher ein Grundgedanke der EU. Es gilt, diesen Gedanken wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. Die politischen Prioritäten liegen derzeit eher auf einer Mikrosteuerung der Wirtschaft. Zweifelsohne hat die Bürokratie auf EU-Ebene in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen. Das Prinzip der Subsidiarität und das Vertrauen auf die Innovationskraft des Marktes scheinen immer weniger Anklang zu finden. Dabei braucht Brüssel das Wissen von Unternehmen und die Effizienz der Kapitalmärkte, um Herausforderungen wie dem Klimawandel oder dem demografischen Wandel zu begegnen.
Sind die Unternehmen in der Zwickmühle, wenn von ihren Investitionen und ihrem Geschäft auch der Wohlstand und die politische Stabilität eines Landes abhängen, sie aber im Ausland bessere Wettbewerbsbedingungen finden?
Politische Stabilität hat vielfältige Ursachen. Wohlstand ist einer von vielen Faktoren, die Stabilität begünstigen, es gibt aber keinen linearen Zusammenhang. Es ist Aufgabe der Politik, für gute und verlässliche Investitionsbedingungen zu sorgen. Als Deutsches Aktieninstitut bringen wir unser Wissen ein, damit Deutschland und Europa wettbewerbsfähige Standorte bleiben.
Das Deutsche Aktieninstitut hat die Bürgerinitiative Pulse of Europe mit dem Meritum-Förderpreis für ihr Engagement für eine vereintes, starkes und demokratisches Europa ausgezeichnet. Wollten Sie damit auch ein Signal geben, Initiativen der Zivilgesellschaft zu unterstützen? Verbände spenden ja in der Regel eher für Parteien.
Pulse of Europe ist ein tolles Beispiel für die zu Beginn erwähnte Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger. Die Mitglieder von Pulse of Europe vereint der Glaube an die europäische Idee. Es herrscht die Überzeugung, dass Bürgerinnen und Bürger für ein zukunftsfähiges, geeintes Europa selbst aktiv werden müssen. Diesen Gedanken möchte das Deutsche Aktieninstitut mit dem Meritum-Förderpreis unterstützen und würdigen.
Halten Sie es für sinnvoll, dass Unternehmen ihre Mitarbeitenden auffordern, wählen zu gehen oder sich für Demokratie starkzumachen?
Freie Wahlen sind ein Kernelement jeder lebendigen Demokratie. Wählen zu gehen, ist weltweit keine Selbstverständlichkeit. Und historisch betrachtet haben die Menschen in allen Demokratien hart für dieses Recht gekämpft. Den Aufruf, wählen zu gehen, halte ich deshalb für sehr sinnvoll. Bei DHL Group haben wir zuletzt für die Teilnahme an der Europawahl geworben. Empfehlungen geben wir dabei natürlich keine ab. Das ist die ganz private Entscheidung jeder Kollegin und jedes Kollegen.
Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.