IM BLICKFELD

Vasella und die globalisierungsmüden Schweizer

Von Daniel Zulauf, Zürich Börsen-Zeitung, 24.7.2013 Der frühere Novartis-Präsident Daniel Vasella gilt in der Schweiz längst als Symbolfigur für den Typus des egozentrischen Managers, der jede Bodenhaftung verloren hat. Selbst in...

Vasella und die globalisierungsmüden Schweizer

Von Daniel Zulauf, ZürichDer frühere Novartis-Präsident Daniel Vasella gilt in der Schweiz längst als Symbolfigur für den Typus des egozentrischen Managers, der jede Bodenhaftung verloren hat. Selbst in wirtschaftsliberalen Kreisen nimmt man konsterniert und ratlos zur Kenntnis, dass dem Manager auf seinem Weg an die Spitze des globalen Pharmamultis der Sinn für die in seiner Heimat geltenden gesellschaftlichen Konventionen offenbar abhandengekommen ist.Auf die 72 Mill. sfr, die sich Vasella im Februar für ein sechsjähriges Konkurrenzverbot bezahlen lassen wollte, hatte er wegen des öffentlichen Drucks letztlich verzichtet. Doch mit der vergangene Woche getroffenen Spezialvereinbarung, mit der er sich fünf Monate nach dem Rücktritt nochmals ein Millionensalär sowie einen dreijährigen Beratervertrag mit einem Tageshonorar von 25 000 Dollar geben ließ, erweist der Novartis-Ehrenpräsident zwar sich selbst, aber sicher nicht der Schweiz einen Gefallen.Erst am 3. März hatte sich das Schweizer Stimmvolk in einem historischen Urnengang mit überwältigender Mehrheit für eine Stärkung der Aktionärsrechte und damit gegen die “Abzocker” in den Chefetagen ausgesprochen. Nun geht die Diskussion um die Managergehälter von vorn los. Das ist ganz nach dem Geschmack der Schweizer Jungsozialisten, deren Initiative zur Beschränkung innerbetrieblicher Lohndifferenzen auf ein maximales Verhältnis von 1 zu 12 in vier Monaten zu Abstimmung kommt.Noch vor wenigen Jahren hätten die Wirtschaft und ihre einflussreichen politischen Vertreter für diese Initiative nur ein müdes Lächeln übrig gehabt. In der traditionell wirtschaftsliberalen Schweiz hatten Ideen zur staatlichen Einmischung in private Vertragsverhältnisse schon immer einen schweren Stand. Doch diesmal sieht alles etwas anders aus. Die Wirtschaft ist nervös. Seit dem Erfolg der Abzocker-Initiative weiß plötzlich keiner mehr so recht, wie es um den sprichwörtlichen Pragmatismus der Eidgenossen wirklich steht. Haben sich die einst so besonnenen Stimmbürger unvermittelt in Wutbürger verwandelt, die sich an der Urne lieber einer dumpfen Rachsucht an einer Managerkaste hingeben, statt wie früher stets das Gesamtbild und das Wohl des Landes im Auge zu behalten? StandortfrageEs besteht kein Zweifel, dass ein Erfolg der 1-zu-12-Initiative die Schweiz als bevorzugter Standort für multinationale Großunternehmen in Frage stellen würde. Während sich die Großbanken, die Basler Pharmakonzerne und andere Firmen mit einer historischen Verwurzelung und einer großen industriellen Basis im Land vielleicht noch dazu bringen ließen, ihre Gehaltspolitik irgendwie, wenn auch vermutlich mit viel Kreativität, in Einklang mit der Forderung nach “gerechten Löhnen” zu bringen, hätten viele andere Multis keine Hemmungen, mit ihren Konzernsitzen kurzentschlossen ins Ausland abzuwandern.Deshalb ist es trotz allem sehr unwahrscheinlich, dass die Initiatoren über einen Achtungserfolg hinauskommen werden. Auch wenn die Initiative den helvetischen Unternehmensstandort nicht so verändern wird, wie dies das Abzocker-Plebiszit derzeit tut, so wird sie aber doch zur Folge haben, dass die Manager ihre unternehmerischen Freiheiten in der Schweiz künftig anders einschätzen als in der Vergangenheit.Genau das wollen die Stimmbürger, die frei von sozialistischer Gesinnung ein Ja in die Urne legen werden. Die Schweizer sind globalisierungsmüde. Seit zwanzig Jahren gehört das Land ohne Unterbrechung zur Spitzengruppe der am stärksten globalisierten Nationen weltweit, wie die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich nachweist.Die wirtschaftsliberale Denkfabrik Avenir Suisse spricht in einem Diskussionspapier zum Thema “Zerrbild und Wirklichkeit” der Multis von einem wachsenden Graben zwischen großen Teilen der Politik und Gesellschaft einerseits und den multinationalen Großkonzernen anderseits. Die Bedeutung der Multis für die Volkswirtschaft werde in der Politik und in der Öffentlichkeit stark unter- und die der kleinen und mittelgroßen Firmen überschätzt.Das Wachstum der Multis hat die Globalisierung der Schweiz vorangetrieben. Die Folgen sind überall sichtbar. In den 100 größten Firmen des Landes ist jeder zweite neueintretende Manager ein Ausländer. Ab 2015 sind die Führungskräfte mehrheitlich Ausländer prophezeit der Unternehmensberater Guido Schilling. Die Zuwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland bewegt sich seit Jahren auf unverändert hohem Niveau. Das ist zwar gut für das Wirtschaftswachstum, aber weniger gut für die Stimmung. Der Schweizer Mittelstand, den die großen Einwanderungswellen aus Niedriglohnländern stets nur am Rande tangierten, fühlt sich bedrängt. Kulturelle EigenheitenFür Missmut sorgt auch, dass ausländische Führungskräfte oft wenig Verständnis für das im öffentlichen Leben der Schweiz stark verbreitete Milizsystem zeigen. Die Kommunen suchen teilweise verzweifelt nach ehrenamtlichen Gemeinderäten, die ab und an auch für Sitzungen in den Nachmittagsstunden abkömmlich sind. Im nationalen Parlament bilden die Teilzeitabgeordneten mit einem regulären Anstellungsverhältnis eine aussterbende Spezies.Auch das duale Bildungssystem, auf das die Schweiz besonders stolz ist, gerät als Folge der Globalisierung zunehmend unter Druck. Jugendliche aus zugewanderten Familien streben viel mehr in Richtung Gymnasium als Einheimische mit gleichen schulischen Leistungen und gleichem sozialen Hintergrund. “Die internationale Anerkennung und Reputation der Schweizer Berufsbildung ist eine notwendige Bedingung dafür, dass diese auch in der Schweiz zukunftsfähig bleibt”, warnt der Bildungsfachmann Stefan Wolter von der Universität Bern.Selbst das interne Steuersystem gerät im Zug der internationalen Entwicklung unter Druck. Kein Geringerer als der Präsident jener politischen Partei, der auch Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf angehört, hat kürzlich den Vorschlag gemacht, die Banken sollten relevante Informationen gleich selber an die Steuerämter weiterleiten. Dadurch würde sich die selbstverantwortliche Steuerdeklaration für die Bürger erübrigen. “Es wird hier im Kern ein Stück gutschweizerischer, republikanische Staatsgesinnung angeknackst”, sagte Georg Kohler, emeritierter Professor für politische Philosophie der Universität Zürich in einem Fernsehinterview.Als Folge der Globalisierung sehen die Schweizer viele bewährte oder auch nur liebgewonnene Traditionen und Eigenarten in Gefahr. Dazu gehört auch ein gewisses Maß an Bescheidenheit, mit der ein Daniel Vasella offensichtlich nichts anzufangen weiß. Die schlechten Gefühle vieler Bürger gegen ihn gehen aber weit über das Thema Lohn hinaus.