Verbraucher erwarten deutlich mehr Inflation
Verbraucher erwarten wieder mehr Inflation
EZB-Umfrage: Kurzfristige Preiserwartungen in Euroland ziehen spürbar an – Notenbanker stimmen auf langen Kampf ein
Die Inflationsentwicklung im Euroraum hat in den vergangenen Monaten positiv überrascht. Viele Euro-Notenbanker warnen aber davor, voreilig den Sieg über die Teuerung auszurufen. Neue Daten dürften sie darin bestärken. Auch der IWF mahnt zur Vorsicht. Zinssenkungen scheinen absehbar keine Option zu sein.
ms Frankfurt
Die Inflation im Euroraum geht deutlich und schneller zurück als vielfach prognostiziert – aber die Verbraucher haben ihre kurzfristigen Inflationserwartungen noch einmal deutlich nach oben geschraubt. Das zeigt der am Mittwoch veröffentlichte Consumer Expectations Survey (CES) der Europäischen Zentralbank (EZB). Auf Zwölf-Monats-Sicht sagten die Verbraucher im September im Median einen Preisanstieg von 4,0% voraus – gegenüber nur 3,5% in der August-Umfrage. Auf Sicht der nächsten drei Jahre verharrte der Wert bei 2,5% – also deutlich oberhalb des mittelfristigen EZB-Inflationsziels von 2,0%.
Debatte über weitere Zinsschritte
Die neuen Ergebnisse dürften die Euro-Hüter in der Auffassung bestärken, dass die Inflationsgefahr noch nicht gebannt ist und die Leitzinsen noch lange auf einem erhöhten Niveau gehalten werden müssen. Auch weitere Zinserhöhungen werden so wohl zumindest auf dem Tisch bleiben. Die Inflationserwartungen stehen aktuell im besonderen Fokus. Die große Sorge ist, dass sich höhere Erwartungen auf die Lohn- und Preissetzung auswirken und sich die Teuerung so verfestigt. Der EZB-Rat hatte im Oktober nach zehn Zinserhöhungen in Folge erstmals eine Pause eingelegt. Vor allem die Hardliner („Falken“) sorgen sich um die Erwartungen und mahnen zur Wachsamkeit.
Die neue CES-Umfrage, für die rund 14.000 Verbraucher in sechs Euro-Ländern befragt werden, liefert den „Falken“ nun neue Nahrung. Das gilt umso mehr, als sich zunehmend die Ansicht durchsetzt, dass auch die kurzfristigen Inflationserwartungen für die Entwicklung der Teuerung eine wesentliche Bedeutung haben. So argumentiert nicht zuletzt der Internationale Währungsfonds (IWF, vgl. BZ vom 5. Oktober). In der Vergangenheit hatte der Fokus der Zentralbanken eher auf den mittel- und längerfristigen Erwartungen gelegen – auch wegen des Wirkungshorizonts der Geldpolitik.
Nagel: Letzte Meile schwierig
Im Mittelwert legten die Inflationserwartungen für das nächste Jahr von zuvor 5,3% auf 5,6% zu, und auf Drei-Jahres-Sicht verharrten sie bei 4,2%. Dagegen war die Inflation zuletzt deutlich zurückgegangen – vom absoluten Rekordwert von 10,6% im Oktober 2022 auf 2,9% im Oktober 2023. Das hatte wesentlich zur EZB-Zinspause beigetragen – zumal der Euro-Wirtschaft eine Rezession droht. Zwischen Juli 2022 und September 2023 hat der EZB-Rat seine Leitzinsen um beispiellose 450 Basispunkte angehoben.
Auch EZB-Chefvolkswirt Philip Lane geht davon aus, dass es noch ein langer Weg zum Ziel einer Teuerungsrate von 2,0% ist. Mit dem schnellen Rückgang der Inflationsrate dürfte es aus Sicht des Iren vorerst vorbei sein. Die Inflationsraten würden sich voraussichtlich im Jahr 2024 im "hohen Zweier- oder niedrigen Dreier-Bereich" bewegen, sagte Lane am Mittwoch auf einer Konferenz in Riga. Erst 2025 werde die Teuerungsrate wohl auf das Ziel von 2,0% absinken. Bundesbankpräsident Joachim Nagel sagte am Mittwoch ebenfalls, dass die „letzte Meile“ sehr schwierig werden dürfte. In Deutschland ging die Teuerung im Oktober ebenfalls weiter deutlich zurück, wie finale Daten des Statistischen Bundesamts am Mittwoch belegten. Demnach lag die Teuerung in EU-harmonisierter Berechnung (HVPI) bei 3,0% und in nationaler Rechnung (VPI) bei 3,8%. Im September hatten die Werte bei 4,3% und 4,5% gelegen.
IWF warnt vor Fehler
Nach Ansicht des IWF würde die EZB einen großen Fehler begehen, wenn sie die Geldpolitik zu früh lockern würde. "Man muss wachsam sein und die Disinflation abwarten, bevor man sich darauf einlässt", sagte Helge Berger, stellvertretender Direktor in der Europaabteilung des IWF, laut Bloomberg auf einer Podiumsdiskussion in Brüssel. "Das heißt, die Welt kann sich ändern, und deshalb sind wir sehr froh, dass Zentralbanken wie die EZB, aber auch andere zu einem datengesteuerten Ansatz übergegangen sind." Berger äußerte sich, nachdem der IWF einen Bericht veröffentlicht hatte, in dem er eine weiche Landung der europäischen Wirtschaft und einen allmählichen Rückgang der Inflation vorhersagte.
Sorgen um Wirtschaft
In der CES-Umfrage äußerten sich die Verbraucher noch einmal skeptischer zum Wirtschaftsausblick. Die Erwartungen für das Wirtschaftswachstum in den nächsten zwölf Monaten lagen im September bei −1,2%, verglichen mit −0,8% im August. Im Einklang mit den niedrigeren Erwartungen für das Wirtschaftswachstum stiegen die Erwartungen für die Arbeitslosenquote in den kommenden zwölf Monaten auf 11,4% – nach 11,1% im August.