IM BLICKFELD

Vermögen in den USA klaffen immer weiter auseinander

Von Peter De Thier, Washington Börsen-Zeitung, 30.12.2014 Die Aktienmärkte boomen, der Häusermarkt erholt sich mit moderatem, aber zunehmendem Tempo, und dennoch werden die meisten Amerikaner immer ärmer. Wie aus einer neuen Studie hervorgeht, sind...

Vermögen in den USA klaffen immer weiter auseinander

Von Peter De Thier, WashingtonDie Aktienmärkte boomen, der Häusermarkt erholt sich mit moderatem, aber zunehmendem Tempo, und dennoch werden die meisten Amerikaner immer ärmer. Wie aus einer neuen Studie hervorgeht, sind zwar die wohlhabendsten US-Bürger deutlich reicher geworden. Das mittlere Nettovermögen der Privathaushalte hingegen liegt heute unter dem Niveau von 1989. Die Zahlen werfen nach Ansicht vieler Ökonomen einen Schatten auf die robuste konjunkturelle Erholung in der weltgrößten Volkswirtschaft. Folgen sind vor allem für den Privatkonsum zu erwarten, der in den USA fast 70 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht. Mittelklasse leidetAuf den ersten Blick müssten die Zahlen, die das Center for Economic and Policy Research (CEPR) in Washington kürzlich veröffentlichte, optimistisch stimmen. Demnach stieg das durchschnittliche Nettovermögen der US-Haushalte während der vergangenen 25 Jahre von 342 300 auf 528 400 Dollar. Deutlich aussagekräftiger ist aber der Mittelwert, der zugleich illustriert, wie haussierende Aktienmärkte und steigende Immobilienpreise überwiegend den Besserverdienenden zugutekommen. Das mediane Einkommen sank nämlich seit 1989 von 84 100 auf 81 400 Dollar. Anders ausgedrückt: Da die Wohlhabendsten deutlich reicher wurden, stieg einerseits das arithmetische Mittel. Der Lebensstandard der Mittelklasse ist hingegen weiter gesunken.Nach Ansicht von Dean Baker, Mitbegründer und Co-Direktor des CEPR, “lassen diese Zahlen die konjunkturelle Erholung, über die Politiker jubeln, in einem ganz anderen Licht erscheinen”. Besonders schwer werden es laut Baker ältere Menschen haben. Deren durchschnittliches Nettovermögen – ohne Berücksichtigung des Eigenheims, das bei der Mittelklasse einen überproportionalen Anteil am Gesamtvermögen ausmacht – hatte 2004 den Rekordstand von knapp 161 000 Dollar erreicht. Ende 2013 hingegen lag der Mittelwert nur noch bei 89 300 Dollar. Baker, einer der Mitverfasser der Studie, stellt fest, dass Personen, die sich dem Rentenalter nähern, zu Lasten des Privatkonsums umso mehr Geld auf die hohe Kante legen müssten. “Sie profitieren von dem konjunkturellen Aufschwung mit deutlichem Abstand weniger als andere Altersgruppen und werden auf das bereits vorher akkumulierte Vermögen zurückgreifen müssen, um ihren Lebensstandard zu halten”, sagt Baker. Nur etwas besser ergeht es den 45- bis 54-Jährigen, denen das CEPR aber immerhin noch wegen der zusätzlichen Jahre im erwerbsfähigen Alter Chancen einräumt, die fortgesetzte Erholung zu verstärkter Vermögensbildung zu nutzen.Dass die “oberen Zehntausend” kontinuierlich reicher werden, die Mittelklasse aber eher sinkende Nettovermögen verbucht, lässt sich auf zwei Phänomene zurückführen: Von 1989 bis 2007, als die Preisblase am Häusermarkt zerplatzte, waren am Haushaltsvermögen gemessen sämtliche Einkommensklassen und Altersgruppen Nutznießer des langen Aufschwungs. Seit der Immobilien- und Finanzkrise, als es mit Ausnahme der wohlhabendsten US-Haushalte für die übrigen bergab ging, haben die Aktienmärkte ihre Verluste wieder ausgeglichen. Die Häuserpreise hingegen liegen noch unter dem Vorkrisenniveau, und für die “unteren drei Fünftel” macht das in der privaten Immobilie steckende Eigenkapital mehr als die Hälfte ihres Gesamtvermögens aus. Dagegen besitzen die oberen 10 % mehr als 80 % des Finanzvermögens und haben von den boomenden Märkten folglich überproportional profitiert. Streit über UrsachenZu einem ähnlichen Schluss wie das CEPR gelangt eine Studie des Pew Institute, wonach das Durchschnittsvermögen besser verdienender Haushalte, die Gehälter von mindestens 114 000 Dollar im Jahr nach Hause bringen, fast achtmal so groß ist wie der Mittelwert von 81 400 Dollar, der für sämtliche Haushalte erfasst wurde und das 70-Fache der Einkommensbezieher im unteren Drittel beträgt. Auch illustriert der jüngste Survey of Consumer Finances der US-Notenbank, dass ungeachtet des Aufschwungs die Wohlstandsspreizung immer größer wird.Über die Ursachen als auch über die ökonomischen Folgen des immer größeren Wohlstandsgefälles sind sich Volkswirte nur teilweise einig. Als Hauptgrund nennen die meisten die seit 2007 bemerkenswert unebenen Erholungen am Häusermarkt und den Aktienmärkten. Häufig wird auch die ultralockere Geldpolitik der Fed angeführt, die bis zur Beendigung der Anleihenkäufe fast sechs Jahre Bestand hatte. Auch dürfte nach Ansicht von Experten das Unvermögen des Weißen Hauses und der Demokraten im Kongress, Steuererhöhungen für Wohlhabende durchzusetzen, das Vermögensgefälle weiter vertieft haben. Zur Debatte standen schließlich eine Anhebung des Spitzensteuersatzes sowie eine Erhöhung der Kapitalzuwachssteuer, deren Bemessungsgrundlagen realisierte Gewinne beim Verkauf von Wertpapieren und Immobilien sind.Mindestens ebenso komplex ist die Frage, wie die immer größer werdende Vermögenslücke auf die Gesamtwirtschaft durchschlägt. Ausgerechnet die Ratingagentur Standard & Poor’s veröffentlichte vor einigen Monaten einen Bericht, der ein düsteres Szenario zeichnet. Demnach würde die wachsende Kluft zwischen den Reichen und selbst der Mittelklasse zu immensem politischem Druck führen. Dieser wiederum könnte legislative Maßnahmen zur Folge haben, die negativ auf Neueinstellungen, Investitionstätigkeit und den Außenhandel durchschlagen. Geringere KonsumneigungNobelpreisträger Joseph Stiglitz hingegen argumentiert, dass, wenn Ersparnisse und andere Gelder, vorwiegend im Besitz der Wohlhabendsten, in Wertpapiere und Immobilien “anstelle von Investitionsgütern fließen, die Produktivität der Industrie sinken wird und Löhne stagnieren oder sinken werden”. Konkrete Folgen für das Wirtschaftswachstum sieht Jared Bernstein, Ökonom beim Thinktank Center for American Progress. Laut Bernstein wird die zunehmende Umverteilung der Privatvermögen zugunsten der Wohlhabendsten stärker auf die weltgrößte Volkswirtschaft durchschlagen als bisher angenommen. Zum einen würden die vermögendsten Haushalte ihr Geld nicht in jene Branchen pumpen, die zu den wichtigsten Wachstumskatalysatoren zählen. “Hinzu kommt, dass unterm Strich deren marginale Konsumneigung deutlich geringer ist als die der Mittelklasse, die selbst seit Beginn der Erholung 2009 reale Einbußen erlitten hat”, sagt Bernstein. Die Folge für eine Volkswirtschaft, die zu mehr als zwei Dritteln von Privatkonsum lebt, sei logisch: Weniger Verbraucherausgaben als Folge des immer größeren Einkommens- und Wohlstandsgefälles werden mittel- bis langfristig das Wachstum drücken.