Versteckspiel hinter Rauch und Nebel
Dass New York die Stadt sein soll, die niemals schläft, galt in der Vergangenheit stets als positives Attribut. Doch viele Menschen in der Metropole schlafen auch deshalb kaum, weil sie mehrere Jobs benötigen, um überhaupt über die Runden kommen zu können. Der neueste Armutsbericht der Stadt zeigt jedenfalls, dass die Zahl der armutsgefährdeten Haushalte 2011 im Vergleich zu 2009 um weitere 3 Prozentpunkte auf 46% gestiegen ist. Fast jeder zweite New Yorker lebt also nahe der Armutsgrenze. Zu dieser Gruppe zählt jeder Haushalt, dem brutto maximal 50% mehr als die offizielle Armutsgrenze zur Verfügung stehen. Diese liegt in New York für eine vierköpfige Familie derzeit bei 30949 Dollar im Jahr. Das ist zwar deutlich mehr als die von der US-Regierung gesteckte Grenze von 22811 Dollar. Der angehobene Wert dürfte aber angesichts der deutlich höheren Lebenshaltungskosten im Vergleich zum Rest des Landes noch immer recht konservativ gewählt sein. Die Lage für die ärmere Hälfte der New Yorker könnte sich dabei bald weiter verschlimmern. Die angespannte Haushaltslage werde Einschnitte bei staatlichen wie städtischen Unterstützungsleistungen für finanzschwächere Familien bringen, befürchten die Autoren des Berichts. *Die zunehmende Armut sorgt auch dafür, dass sich die Bürgermeisterkandidaten der Demokraten derzeit äußerste Mühe geben, Nähe zum Durchschnitts-New-Yorker zu demonstrieren. In einem Gemeindezentrum an der Upper West Side klagten Bürger in einer Fragerunde vor allem über die steigenden Mieten. Während die Häuserpreise in New York nicht so recht aus dem Keller kommen, ziehen die Mieten bereits wieder an – auch weil vielen Menschen keine Alternative bleibt. Für die Kandidaten, die allesamt Eigentum in wohlhabenderen Gegenden der Stadt besitzen, ist der Fragenkomplex ein Minenfeld.Der ehemalige Stadtrat Sal Albanese musste schon weit im Nebel der Vergangenheit stochern, um sich an sein letztes Mietverhältnis zu erinnern. 1969 habe er für 60 Dollar im Monat im heute angesagten Park-Slope-Viertel Brooklyns gewohnt – “damals war das noch eine Arbeitergegend”. Doch auch wenn Albanese hier die Lacher auf seiner Seite hatte, dürfte es ihm schwerfallen, seine mentale Distanz zum gemeinen New Yorker zu verschleiern. Erst im März hatte sich der Einkommensmillionär blamiert, als er Haushalte mit einer halben Million Dollar Jahresverdienst in Manhattan zur Mittelklasse zählte. Damit wollte er einen Steuererhöhungsvorschlag für Spitzenverdiener abschmettern, den sein Konkurrent Bill Thompson unterbreitet hatte. Eine Steilvorlage für Albaneses Gegner: Tatsächlich zählen diese Haushalte zu den reichsten 5% Manhattans. Thompson konnte zudem noch nicht einmal vorgeworfen werden, er wolle sich nur bei anderen bedienen. Nach eigenem Ausweis verdiente er vergangenes Jahr 727000 Dollar und ist damit der einkommensstärkste Demokrat – nach Albanese. Stadtratssprecherin Christine Quinn und Bürgervertreter Bill De Blasio kamen dagegen nur auf 138000 bzw. 158000 Dollar und zählen damit nach Albaneses Definition wohl, wenn überhaupt, zur unteren Mittelklasse. *Während die demokratischen Kandidaten sich bürgernah geben müssen, wendet sich die amtierende Nummer 1 der Stadt, Milliardär Michael Bloomberg, weiter der Abarbeitung seiner Gesundheitsagenda zu. Nachdem das Verbot größerer Softdrinks grandios gescheitert ist, soll nun das Rauchen zurückgedrängt werden. Durch diverse Einschränkungen war der Anteil der rauchenden New Yorker High- School-Schüler von 2001 bis 2007 auf 8,5% halbiert worden. Seitdem stagniert die Quote aber. Um weitere Fortschritte zu erzielen, will Bloomberg die Altersgrenze, ab der im Big Apple legal Zigaretten gekauft werden dürfen, von 18 auf 21 Jahre anheben – auch weil 80% der Raucher vor dem 21. Lebensjahr einsteigen. Vielleicht kommt ihm aber auch die zunehmende Armut im Kampf gegen den Qualm zur Hilfe. Ein Päckchen kostet im Big Apple durchschnittlich 12 Dollar.