EZB-SITZUNG IM ZEICHEN DER CORONAKRISE - IM INTERVIEW: MARCEL FRATZSCHER

"Vertrauen ist die allerwichtigste Währung"

Der DIW-Chef über die Krise und eine EZB-Reaktion

"Vertrauen ist die allerwichtigste Währung"

Herr Professor Fratzscher, die US-Notenbank Fed hat aus Angst vor wirtschaftlichen Schäden durch das Coronavirus zwischen zwei regulären Zinssitzungen ihren Leitzins gesenkt und andere Zentralbanken haben nachgezogen. Sollte auch die Europäische Zentralbank (EZB) dem Vorbild folgen und ihre Geldpolitik lockern?Ja, auch die EZB muss ein klares Signal an Unternehmen, Banken und Finanzmärkte senden, dass sie die Risiken erkannt hat und Finanzstabilität gewährleisten wird. Die riesigen Schwankungen an den Börsen zeigen, wie hoch die Nervosität und Verunsicherung ist. Die Angst vor dem Ungewissen dominiert und richtet wirtschaftlich sehr viel mehr Schaden an als die Ansteckung durch das Virus selbst. Vertrauen ist die allerwichtigste Währung in diesen Zeiten. Und gerade Zentralbanken haben die wichtige Rolle, mit ihrer Geldpolitik dieses Vertrauen zu stärken und Marktteilnehmern zumindest einige ihrer Ängste zu nehmen. Kann die Geldpolitik gegen einen eher angebotsseitigen Schock wie das Coronavirus denn überhaupt etwas ausrichten?Eine Zentralbank kann und muss in Krisenzeiten sowohl das Funktionieren von Finanzmärkten sicherstellen als auch mit ihrer Geldpolitik die Kreditvergabe an die Realwirtschaft verbessern. Natürlich kann eine Zentralbank wenig an unterbrochenen Lieferketten verändern. Aber sie kann über bessere Finanzierungsbedingungen helfen, dass sowohl vor allem kleine und mittlere Unternehmen besseren Zugang zu Krediten haben als auch Konsumentenkredite für Verbraucher weiterhin finanzierbar bleiben. Klar ist aber auch, dass die Hauptverantwortung bei der Finanzpolitik liegt und nicht bei der Geldpolitik. Die Regierungen sollten dringend gezielte und kluge Konjunkturprogramme umsetzen und vor allem solche Maßnahmen international im Kontext der G20 eng koordinieren. Aber was sollte die EZB konkret tun? Sollte sie den Zins weiter senken, ihre Anleihekäufe (Quantitative Easing, QE) aufstocken oder eher neue Liquiditätshilfen auflegen?Ich sehe vor allem verbesserte Liquiditätshilfen für kleine und mittlere Unternehmen als die höchste Priorität für die EZB-Geldpolitik. Dies kann sie problemlos innerhalb der laufenden Liquiditätsprogramme umsetzen. Eine Ausweitung der Käufe von Unternehmensanleihen ist sicherlich auch eine Option, aber sie wäre weniger zielgenau und würde weniger den kleineren Unternehmen zugutekommen. Auch eine weitere Absenkung des Einlagezinses sehe ich als weniger potent an. Es wird zwar häufig gesagt, die EZB hätte keine Instrumente mehr, dies stimmt aber so nicht. Sollte die EZB auch den Kauf von Aktien erwägen, wie es die Bank of Japan tut – oder auch von Bankanleihen?Den Kauf von Aktien oder Bankanleihen halte ich für ein größtenteils stumpfes Instrument, um den wirtschaftlichen Abschwung durch das Coronavirus zu bekämpfen. Es handelt sich hier um einen Abschwung, der in erster Linie aus der Realwirtschaft kommt, bei dem Lieferketten nicht mehr funktionieren und durch schwindendes Vertrauen Konsum und Investitionen wegbrechen. Natürlich besteht die Gefahr, dass viele ohnehin schon angeschlagene europäische Banken stark unter einer drohenden Rezession leiden könnten. Aber hierfür wäre der Ankauf von Bankanleihen sicherlich das völlig falsche Instrument. Droht die neue geldpolitische Debatte die Strategieüberprüfung in diesem Jahr zu überschatten? Was sollte aus Ihrer Sicht bei dem Strategiecheck am besten herauskommen?Nein, die Strategiedebatte ist wichtig. Die vielleicht schwierigste Herausforderung für die EZB heute ist die Frage, wie sie ihre Glaubwürdigkeit in Deutschland wieder stärken kann. Das ständige Bashing der EZB in der deutschen Öffentlichkeit hat der Institution einen großen Schaden zugefügt. Ich erwarte von der Strategieüberprüfung eine Bestätigung des Offensichtlichen: dass Preisstabilität das zentrale Mandat der EZB bleibt, sie allerdings neue Instrumente und Orientierungshilfen hierfür bekommt. Die Fed hat insbesondere auch auf den Ausverkauf an den weltweiten Börsen reagiert. Sind die Notenbanken heutzutage zu sehr fokussiert auf die Finanzmärkte, die doch stark kurzfristig getrieben sind?Eine ganz wichtige Aufgabe jeder Zentralbank ist es, die Finanzstabilität und das Funktionieren von Finanzmärkten sicherzustellen. Daher kann keine Notenbank diesen Crash an den Börsen ignorieren. Allerdings gebe ich Ihnen insofern Recht, dass Notenbanken zu sehr fokussiert sind auf die Finanzmärkte – zumal der Einbruch der Börsen zum Teil nur der Anfang einer notwendigen Korrektur von überbewerteten Aktien war, dem weitere Korrekturen folgen dürften. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat sich seit Amtsbeginn auffallend um ein besseres Verhältnis zur deutschen Öffentlichkeit bemüht, das unter Mario Draghi arg gestört war. Wenn sie aber nun die in Deutschland vielfach kritisierte expansive Geldpolitik noch weiter lockert, droht dann eine neue Eiszeit zwischen der EZB und den Deutschen? Aus der CDU kamen bereits Warnungen vor einer Zinssenkung.Respekt für die Unabhängigkeit einer wichtigen europäischen Institution, wie der EZB, verlangt auch von uns Deutschen, die Entscheidungen der EZB zu respektieren. Es ist richtig und häufig auch gut, dass wir in Deutschland eine andere Perspektive und Meinung zur Geldpolitik haben. Für mich ist vielleicht der wichtigste Teil der Strategieüberprüfung der EZB gar nicht so sehr die Frage des Mandats, sondern wie auch die deutschen Stimmen in der EZB mehr Berücksichtigung finden und gehört werden. Wenn sich alle Seiten diese beiden Punkte zu Herzen nehmen, dann sollte sich auch die Beziehung zwischen uns Deutschen und der EZB wieder normalisieren. Ende März entscheidet das Bundesverfassungsgericht endgültig über die deutschen Klagen gegen QE. Was würde passieren, wenn Karlsruhe der Bundesbank untersagen würde, weiter Anleihen zu kaufen?Das Bundesverfassungsgericht würde in diesem Fall sich selbst und auch der Bundesbank den größten Schaden zufügen. Denn sie würde dem Europäischen Gerichtshof widersprechen und einen massiven Konflikt in Europa vom Zaun brechen. Die Bundesbank spielt eine enorm wichtige Rolle für den Euro und hat großen Einfluss auch auf die EZB. Aber ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht, wie auch in der Vergangenheit, eine weise Entscheidung treffen wird. Die Fragen stellte Mark Schrörs.