"Vertrauensschutz nicht gewährt"

Beirat beim Bundesfinanzministerium moniert zunehmende Eingriffe Brüssels in nationales Steuerrecht

"Vertrauensschutz nicht gewährt"

Zunehmende Eingriffe der EU-Beihilfekontrolle in nationale Steuervergünstigungen rufen die wissenschaftlichen Berater des Bundesfinanzministeriums auf den Plan. Neue Vorgaben sollen Rechtssicherheit schaffen und Brüssel beschränken.wf Berlin – Beistand für Unternehmen in europäischen Steuerfragen kommt vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium. Das Gremium dringt auf Subsidiarität in der Europäischen Gemeinschaft und auf Rechtssicherheit für die Wirtschaft bei steuerlichen Vergünstigungen. In seinem neuen Gutachten spricht sich das 35-köpfige Gremium unter Vorsitz des Finanzwissenschaftlers Thiess Büttner mit Lehrstuhl an der Universität Erlangen-Nürnberg dafür aus, die Beihilfeaufsicht in der EU neu zu justieren. Der unabhängige Beirat, der sich zudem seine Themen selbst setzt, übergab das Gutachten am Donnerstag Finanzstaatssekretär Johannes Geismann in Berlin. Steuerautonomie wahrenDie Wissenschaftler liefern eine Reihe von Vorschlägen, um Kompetenzkonflikte um die Steuerautonomie zu lösen. Anlass des Gutachtens ist die zunehmende Zahl von steuerlichen Regelungen, die die EU jüngst unter Beihilfeaspekten aufgegriffen hat. Spektakulär waren etwa die Steuernachforderungen an den europäischen Zweig des US-Unternehmens Apple in Irland von 13 Mrd. Euro. Die EU-Kommission stufte die steuerliche Behandlung als illegale Beihilfe ein. Auch Luxemburg geriet wegen steuerlicher Vergünstigungen für Firmen ins Visier der Beihilfeaufseher in Brüssel. Unternehmen verunsichertDie Wissenschaftler des Beirats monieren, dass die Ausweitung der EU-Beihilfekontrolle in Steuerfragen die Unternehmen und auch die Steuergesetzgeber der Mitgliedsländer massiv verunsichert. Zum einen sei nicht vorherzusehen, ob steuerliche Regelungen als Beihilfe eingestuft werden, zum anderen bleibe das Risiko allein bei den begünstigten Unternehmen hängen. Die Firmen müssten, unabhängig von der Frage der Vorhersehbarkeit, die als Beihilfen eingestuften Vergünstigungen zurückzahlen – rückwirkend für zehn Jahre und dies verzinst. “Vertrauensschutz wird nicht gewährt”, halten die Wissenschaftler fest. Sie würdigen zwar den Versuch der EU-Kommission zur Klarstellung in einer Bekanntmachung vom Juli 2016, doch bleibt es aus Sicht des Beirats beim Versuch. Das Schreiben liefere auch keine rechtssicheren Kriterien zur Abgrenzung. Vielmehr bestätige es noch die Tendenz, die steuerliche Beihilfekontrolle auszuweiten.Beihilfen messen EU-Kommission und Europäischer Gerichtshof (EuGH) daran, ob von der Regelbesteuerung abgewichen wird. Dazu muss es erstens einen Vorteil geben, der zudem – zweitens – selektiv gewährt wird. Die europäische Entscheidungspraxis zeigt für den Beirat, dass die Abgrenzung äußerst schwierig und damit unkalkulierbar ist (Beispiele siehe Kasten). Zudem werde die Beihilfeaufsicht nicht mehr nur als Instrument gegen Wettbewerbsverzerrung eingesetzt, sondern auch gegen “vermutete Steuerverschwendung”, so der Beirat. Subsidiarität beachtenDie Wissenschaftler halten die Trennung von Regelbelastung und Steuervergünstigung in der Beihilfekontrolle aus ökonomischer Sicht für nicht sinnvoll. Die Beihilfekontrolle sei aus dem Zollverbot im Binnenmarkt geboren. Sie solle sich damit auf Verzerrungen des zwischenstaatlichen Handels konzentrieren, auch in Steuerfragen. Diese Begrenzung entspreche auch dem Subsidiaritätsprinzip, argumentiert der Beirat. Für die Wirtschaft wollen die Wissenschaftler die Rechtsrisiken reduzieren. So soll die EU-Kommission die Beeinträchtigung des Handels im Binnenmarkt im Einzelfall nachweisen müssen und das Unternehmen oder der Mitgliedstaat die Möglichkeit haben, die Unbedenklichkeit der Steuervergünstigung mit Blick auf den Handel darzulegen. Die Vermutung von handelsverzerrenden Wirkungen soll laut Beirat auf Fälle beschränkt werden, in denen bestimmte Branchen mit Sonderregeln begünstigt werden wie die Handelsschifffahrt oder der Flugzeugbau.Überdies wollen die Wissenschaftler die Rückforderung der gewährten Beihilfe in Steuerfällen ausschließen. Die nationalen Gesetzgeber seien dann immer noch in der Lage, Regelungen mit Wirkung für die Zukunft abzuschaffen, die die EU-Kommission beanstandet hatte. Mehr Rechtssicherheit würden aus Sicht des Beirats auch Regelungen im Sekundärrecht versprechen. So könnten für bestimmte Bereiche Vorgaben für Vergünstigungen geschaffen werden oder bestimmte Normenkontrollkomplexe von der Beihilfekontrolle ausgenommen werden.