Sorgfaltspflichten

Viel Wirbel um EU-Sorgfaltspflichten

Die von der EU-Kommission vorgestellten Sorgfaltspflichten gehen deutlich weiter als in Deutschland. Vor allem der Mittelstand schäumt. Auch Banken und Versicherer müssen sich auf Mehraufwand einstellen.

Viel Wirbel um EU-Sorgfaltspflichten

rec Frankfurt

– Auf international tätige Unternehmen und sie finanzierende Banken und Versicherer kommt mit dem EU-weiten Lieferkettengesetz mehr Arbeit zu. Am Mittwoch hat die EU-Kommission ihre Pläne vorgestellt. Anders als im deutschen Gesetz, das ab Anfang 2023 teilweise greift, soll der Finanzsektor direkt in die Sorgfaltspflichten eingebunden werden. Dabei geht es um die Einhaltung von Menschenrechten, um Umweltschutz und den Kampf gegen den Klimawandel. Banken und Versicherer müssen die Lieferketten von Geschäftspartnern da­hingehend künftig strenger durchleuchten. Überhaupt gehe das Vorhaben der EU-Kommission „in fast allen Bereichen deutlich über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus“, sagte Thomas Voland, Experte für Handelsrecht bei der Kanzlei Clifford Chance, der Börsen-Zeitung.

Das im vorigen Jahr beschlossene deutsche Lieferkettengesetz wird ab Anfang 2024 vollumfänglich scharfgestellt für circa 2900 Unternehmen ab 1000 Beschäftigten. „Für kleinere Firmen“, sagte Michael Meyer, Lieferkettenexperte des Beratungsunternehmens Accenture Strategy, der Börsen-Zeitung, „ist es durchaus eine Herausforderung, binnen kurzer Zeit ein Beschwerdemanagement samt Risikoanalyse und geeigneten Präventionsmaßnahmen aufzubauen.“ Die EU-Kommission setzt die Untergrenze bei 500 Mitarbeitern an, in Risikobranchen bei 250. Dadurch potenziert sich der Kreis der Betroffenen: Laut Mittelstandspolitikern von CDU/CSU im EU-Parlament fallen allein in Deutschland bis zu 14000 Betriebe zusätzlich unter das von der EU-Kommission geplante Gesetz.

In der Wirtschaft sorgt das für Aufruhr. Dem Maschinenbauverband VDMA geht der Vorschlag aus Brüssel „viel zu weit“. Für viele mittelständisch geprägte Maschinen- und Anlagenbauer sei das „nicht umsetzbar“. Der große Kreis an betroffenen Firmen treibt auch Jörg Asmussen um, den Chef des Versichererverbands GDV. Insgesamt sieht Asmussen in dem Vorhaben dagegen „ein starkes Signal“ in Sachen Menschenrechte und Umweltstandards und begrüßt eine einheitliche europäische Regelung. Der Industrieverband BDI wiederum findet es „nicht akzeptabel“, dass Unternehmen oder sogar einzelne Geschäftsführer bei Verstößen Dritter haften und womöglich Abstriche bei der Vergütung machen sollen. Zudem sei die Ausweitung von Sorgfaltspflichten auf die gesamte Wertschöpfungskette „realitätsfern“.

Hier sollten nach Auffassung von Experten auch Banken und Versicherer hellhörig werden. Und dies umso mehr, als die EU-Kommission sie explizit in die Richtlinie einbezogen hat. „Auf Banken und Versicherer werden erhebliche Anforderungen zukommen, falls die Richtlinie so umgesetzt wird“, sagte Fabian Quast, Partner der Kanzlei Hengeler Mueller, der Börsen-Zeitung. Sein Kollege Voland ergänzt, dass Finanzinstitute bei der Vergabe von Krediten und Versicherungen Sorgfaltspflichten auch im Hinblick auf ihre Kredit- und Versicherungsnehmer sowie deren Tochtergesellschaften zu beachten hätten: „Banken und Versicherer sollen künftig noch mehr Verantwortung dafür tragen, was mit ihrem Geld passiert.“

In Kreisen der Versicherungswirtschaft stellt man sich bereits auf Mehraufwand ein. Durch die An­knüpfung an die gesamte Wertschöpfungskette und die ausdrückliche Einbeziehung bestimmter Versicherungsnehmer dürften die Sorgfaltspflichten aller Voraussicht nach über das hinausgehen, was im deutschen Lieferkettengesetz vorgesehen ist, heißt es. Bedeckt hält sich fürs Erste auch der Bankenverband BdB. Dort stört man sich am Wildwuchs: „Die vielen unterschiedlichen Regulierungsvorhaben“ wie EU-Taxonomie, Corporate Sustainability Reporting Directive und Lieferkettengesetz sollten „harmonisiert werden“. Der Anwendungsbereich für Kreditinstitute hingegen werde „im EU-Entwurf deutlicher als im nationalen Gesetz“, hebt eine Sprecherin hervor.

Auftakt zur Lobbyschlacht

Bei denen, die seit Jahren für strenge Sorgfaltspflichten kämpfen, kommt die Aufnahme des Finanzsektors naturgemäß gut an. Ihnen gehen die Pflichten für Banken und Versicherer noch nicht weit genug. So sagt Ulrike Lohr, Expertin für Sustainable Finance beim Südwind-Institut aus der Phalanx der Verfechter: „Es ist nicht akzeptabel, dass Finanzinstitute ausschließlich vor dem Erbringen einer Finanzdienstleistung zur Risikoüberprüfung verpflichtet sind und nicht wie alle anderen Unternehmen auch über die gesamte Dauer der Geschäftsbeziehung.“ Andere Vertreter aus dem Bündnis Initiative Lieferkettengesetz sehen insgesamt zu viele Schlupflöcher.

Zahlreiche weitere Aspekte, die über das deutsche Gesetz hinausgehen, sind strittig. Das betrifft beispielsweise Schadenersatzansprüche und die Einbeziehung nachgelagerter Zulieferer. Aber auch die Vorgabe an Unternehmensvorstände, eine Strategie vorzulegen, die im Einklang mit den Klimaschutzplänen der EU-Kommission steht – konkret: die Erderwärmung auf 1,5 Grad zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Alexander Sandkamp, Handelsexperte am Institut für Weltwirtschaft, sagt: „Auf Unternehmensebene ist das aus meiner Sicht völlig neu und für einige Unternehmen aktuell wohl unmöglich umsetzbar.“

Der um mehr als ein halbes Jahr verzögerte Vorschlag der EU-Kommission dürfte der Auftakt zu einer neuerlichen Lobbyschlacht sein.