Viele Krisenstaaten bereits in der "Todeszone" der Anleihenzinsen

Die Rezession und eine hohe Zinslast machen es für viele Euro-Länder nahezu unmöglich, ihre Staatsfinanzen aus eigener Kraft wieder zu stabilisieren

Viele Krisenstaaten bereits in der "Todeszone" der Anleihenzinsen

Von Stephan Lorz, FrankfurtSpanien scheint bereits sturmreif geschossen, und Italien wankt. Immer höhere Zinsen werden für Staatsanleihen aus diesen Ländern gefordert. Für spanische Papiere liegt die Risikoprämie bereits bei rund 7 %, für italienische bei knapp 6 %. Das lässt die Zinskosten dieser Staaten immer weiter ansteigen und macht vielfach die schwer erkämpften Konsolidierungsfortschritte wieder zunichte. Jenseits einer “Todeszone” von 7 % Zinsen, so heißt es, könne ohne Hilfe von außen das Wachstum der Staatsverschuldung nicht mehr gestoppt werden. Vor diesem Hintergrund sah sich der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi jetzt sogar zu der Aussage genötigt, dass die Notenbank die Existenz der Währungsunion unter allen Umständen sichern werde.Dabei ist jedem Beobachter klar, dass die Anleihenzinsen aus den Krisenländern auch mit dem aktuellen Notenbankinstrumentarium nicht so weit heruntergeschleust werden können, dass eine künftige Eskalation ausgeschlossen werden kann. Denn blickt man auf den Motor der Schuldendynamik, erkennt man, dass die “Todeszone” vor dem Hintergrund der Rezession in vielen Krisenländern und angesichts des schon hohen Niveaus der Zinskosten eigentlich viel niedriger liegt als gedacht.Der Chefvolkswirt von M.M. Warburg, Carsten Klude, hat basierend auf dem Schuldenniveau und der Zinslast aus dem Jahr 2011 für mehrere Länder berechnet, wie hoch die Primärüberschüsse (Haushaltssaldo vor Zinsen) eigentlich ausfallen müssen, damit die Schuldenquote nicht weiter ansteigt. “Wir kommen zu dem Ergebnis, dass unter den heutigen Rahmenbedingungen die notwendigen Primärüberschüsse nicht erzielt werden können, weil entweder das Wachstum zu gering oder der Zinssatz in Anbetracht des geringen Wachstums zu hoch ist,” schreibt er. Entscheidend ist dabei der Durchschnittszinssatz über alle Laufzeiten hinweg. Und der steigt, je länger ein Land am aktuellen Rand immer höhere Zinsen zahlen muss, unweigerlich immer weiter an.Beispiel Italien: Das Land weist eine Schuldenquote von 120 % des BIP auf und zahlt darauf einen durchschnittlichen Zinssatz von 4,2 %. Derzeit herrscht Rezession; das BIP sinkt Prognosen zufolge. Allein im laufenden Jahr muss das Land Zinsen in der Größenordnung von 5 % des BIP bezahlen. Damit die Schuldenquote nicht weiter ansteigt, wäre bei einem BIP-Minus von nominal 1 % ein Primärüberschuss von 6,2 % notwendig. Der Gesamthaushalt müsste damit einen Überschuss von 1,2 % erreichen. Das aber ist nicht zu stemmen. Erwartet wird nämlich für 2012 ein Defizit von 2 %.Noch schlimmer sieht die Lage in Spanien, Portugal und Griechenland aus (siehe Grafik). Klude: “Die Zinslasten sind angesichts des schwachen Wachstums so hoch, dass viele Länder nicht nur ein Liquiditäts- sondern ein Solvenzproblem haben, falls sich das Wachstum nicht in absehbarer Zeit deutlich erhöht oder die Zinsen drastisch sinken.”Bei den Berechnungen des maximal noch verträglichen Zinssatzes für die Krisenländer ähnlich vorgegangen ist das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW). Danach könnte sich Deutschland bequem einen Marktzins von 4,4 % leisten – liegt derzeit aber sogar deutlich darunter, bekommt von den Investoren vielmehr noch Geld, damit sie ihr Kapital im “deutschen Hafen” ankern lassen können. Bei Italien läge der schuldenstabile Zinssatz gegenwärtig bei 0,2 %, der aktuelle Zins ist aber deutlich höher. Für Spanien und Griechenland ist die Lage sogar so verfahren, dass sie sich eigentlich gar keine Zinszahlungen mehr leisten könnten. Die Anleger müssten ihnen sogar Zinsen zugeben (wie sie das im Falle Deutschlands tun), und zwar in Größenordnungen von 5,7 und 4,2 %. Eine geradezu schizophrene Situation, wie sie wohl nie eintreten wird – es sei denn, man versteht unter “Negativzins” einen bevorstehenden Schuldenschnitt.Die Konzentration auf die explizite Staatsverschuldung reicht indes nicht aus, um die künftigen Belastungen abzuschätzen. Hierzu muss man auch die implizite Verschuldung, die sich aus den Leistungsversprechen des Staates gegenüber seinen Bürgern vor allem im Hinblick auf die Sozialversicherung ergeben, hinzurechnen. Für Deutschland liegt die implizite Verschuldung nach Berechnungen der Stiftung Marktwirtschaft bei 2,7 Bill. Euro, was etwa 100 % des BIP entspricht und zur Quote der expliziten Verschuldung noch hinzugerechnet werden müsste.Geradezu dramatisch sieht es damit in Spanien aus, wo die implizite Verschuldung auf 487 % des BIP beziffert wird. Dagegen hat Italien hier seine Hausaufgaben gemacht und diesen Kennwert auf nur 28 % des BIP gesenkt. Das Land könnte sich, wenn es seine Wachstumsprobleme in den Griff bekommen hat, also eines durchaus stabilen Ausblicks erfreuen. Demgegenüber haben Staaten wie die USA und Großbritannien, die derzeit etwas aus dem Blickwinkel der Schuldenkrise geraten sind, noch einiges vor sich bei impliziten Verschuldungsquoten von 170 % bzw. 467 % des BIP.