Vier neue Post-Brexit-Gräben

In der ersten Verhandlungsrunde sieht die EU "ernsthafte Meinungsverschiedenheiten" mit Großbritannien

Vier neue Post-Brexit-Gräben

Die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien über die künftigen Beziehungen sind wie erwartet konfliktreich gestartet. Nach Angaben von EU-Chefunterhändler Michel Barnier gab es in vier Bereichen “ernsthafte Meinungsverschiedenheiten”. Eine Einigung bis Jahresende sei aber nach wie vor noch möglich.ahe Brüssel – In der ersten Runde der Post-Brexit-Verhandlungen sind laut EU-Verhandlungsführer Michel Barnier “ernsthafte Differenzen” im Wesentlichen in vier Themenfeldern zutage getreten. Barnier nannte nach den viertägigen Gesprächen in Brüssel in diesem Zusammenhang die Bereiche Wettbewerbspolitik, Strafrechtskooperationen, Fischerei sowie allgemein die Ausgestaltung des geplanten Freihandelsabkommens.In den Verhandlungen sollen nach dem Ende Januar vollzogenen Austritt Großbritanniens die künftigen Beziehungen zwischen beiden Seiten abgesteckt werden. Die Zeit hierfür drängt, weil die Übergangsperiode nur noch bis zum 31. Dezember läuft. Nach Angaben von Barnier hat jede Seite nun ein Verhandlungsteam mit je 110 bis 120 Experten aufgestellt, das zu elf Themen parallel eine Einigung sondiert. Allein auf EU-Seite sind 22 Generaldirektionen beteiligt. Der Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik wurde auf Wunsch der Regierung in London nicht mit in die elf Verhandlungsrunden aufgenommen.Beim Thema Wettbewerb und Level Playing Field, auf das sich die EU und Großbritannien noch im Zuge des Austrittsabkommens im Oktober verständigt hatten, will London zwar auch in Zukunft hohe Standards grundsätzlich aufrechterhalten – will Zusagen und Verpflichtungen in diesem Bereich sowie mögliche Streitschlichtungsmechanismen aber nicht formal in einen Handelsvertrag schreiben, wie Barnier gestern in Brüssel erläuterte. London will viele SektordealsBei der geplanten Zusammenarbeit bei Strafrechtsangelegenheiten, wozu auch der Kampf gegen den Terrorismus und gegen Geldwäsche gehört, stößt es der EU auf, dass Großbritannien die Europäische Grundrechte-Charta nicht anerkennen und auch dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht die alleinige Kompetenz zugestehen will, europäisches Recht auszulegen. Wenn sich das nicht ändere, hätte das unmittelbare Auswirkungen auf die Ambitionen der EU für eine Zusammenarbeit in diesem Bereich, stellte Barnier klar.Im Bereich der Fischerei – wo ein Abkommen bereits am 1. Juli fertig sein soll – will Großbritannien Vereinbarungen auf jährlicher Basis, was Barnier angesichts von Hunderten von Fischarten als “nicht praktikabel” zurückwies. Die EU will den Fischereikomplex vielmehr in den Handelsvertrag integrieren.Und schließlich ist da die formale Ausgestaltung: Die britische Regierung wünscht sich eine ganze Serie einzelner sektoraler Einzelverträge anstelle eines umfassenden Handelsabkommens, wie es die EU anstrebt. Barnier betonte, dies sei kein rechtliches, sondern ein praktisches Problem. Unterschiedliche Verträge mit verschiedenen Regelungen etwa zur Beilegung von Streitigkeiten würden zu Rechtsunsicherheit für Bürger und Unternehmen führen. Außerdem seien dann zahlreiche zusätzliche Ratifizierungsprozesse der Abkommen notwendig.Trotz der aktuellen grundsätzlich unterschiedlichen Positionen sieht Barnier es immer noch als möglich an, bis Ende des Jahres eine Verständigung zu erreichen. Er bezeichnete – ebenso wie auch die britische Regierung – den Verhandlungsauftakt als “konstruktiv”, warf der britischen Seite aber auch noch einmal vor, zu viel Zeit damit zu verschwenden, ständig auf die eigene Unabhängigkeit zu pochen. Diese werde von niemandem in Frage gestellt.Die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien sollen in einer zweiten Runde noch in diesem Monat in London fortgesetzt werden. Umsetzung läuft parallelBarnier verwies darauf, dass parallel zu den jetzigen Verhandlungen auch schon die Umsetzung des Austrittsabkommens angelaufen sei – vom Thema Bürgerrechte bis hin zu den Vereinbarungen zu Irland/Nordirland. Die Auswirkungen dieses im Oktober beschlossenen Brexit-Abkommens würden immer noch unterschätzt, betonte der Franzose. Zum nächsten Jahreswechsel werde es große Änderungen geben – egal, was die jetzigen Verhandlungen über die künftigen Beziehungen noch für ein Ergebnis brächten. “Ein Business as usual wird es im nächsten Januar nicht mehr geben”, warnte der EU-Chefunterhändler.