Vietnam ist der große Gewinner der Globalisierung

Exporte boomen - Binnenwirtschaft aber von struktureller Schwäche gehemmt - Aktien im Plus

Vietnam ist der große Gewinner der Globalisierung

Von Ernst Herb, zzt. Ho-Chi-Minh-StadtWährend anderswo in der Welt die Marktöffnung von einem wachsenden Anteil der Bevölkerung zunehmend kritisch betrachtet wird, ist in Vietnam von Globalisierungsmüdigkeit nichts zu spüren. Jüngst hat das südostasiatische Land Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union und Südkorea geschlossen. Auch ist Vietnam Teil der von den USA vorangetriebenen Transpazifischen Partnerschaft (TPP), durch die der weltweit größte Handelsblock entstehen soll.Der ungebrochene Enthusiasmus über offene Märkte überrascht nicht, ist Vietnam doch der große Gewinner der Globalisierung. Gemäß einer Studie des Beratungsunternehmens Eurasia Group wäre Vietnam auch der größte Nutznießer der von den Parlamenten der zwölf Mitgliedstaaten noch zu ratifizierenden TPP. US-Präsident Barack Obama konnte daher, trotz des jahrelangen, erbitterten Kriegs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit einem freundlichen Empfang bei seinem offiziellen Besuch dieser Tage rechnen.Während anderswo in Asien die Exportwirtschaft bereits seit Ende 2014 an Schwung verliert, sind Vietnams Ausfuhren 2015 um 8,1 % gewachsen. Die mittlerweile fünftgrößte südostasiatische Volkswirtschaft ist seit ihrem 2007 erfolgten Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO im Durchschnitt jährlich um rund 6 % gewachsen. Und während anderswo in der Region die Konjunktur deutlich abkühlt, wird Vietnams Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemäß den Projektionen des Internationalen Währungsfonds (IWF) im laufenden Jahr um 6,5 % expandieren.Dabei hat das von der Kommunistischen Partei autoritär regierte Land viel später seinen Markt geöffnet als China, Thailand oder Malaysia. Das ist auch der Hauptgrund dafür, dass die Löhne in Vietnam im Vergleich zu diesen Ländern weit niedriger sind. Seit Jahren werden denn auch beschleunigt Arbeitsplätze aus der ganzen Region nach Vietnam verlagert, was sich in den rasant steigenden ausländischen Direktinvestitionen zeigt.Sie sind 2015 gegenüber dem Vorjahr um 17,4 % auf 14,5 Mrd. Dollar gewachsen. Das entspricht beinahe 10 % des BIP und übertrifft gemessen daran die in China oder Indien getätigten ausländischen Direktinvestitionen um ein Vielfaches. Der Kapitalzufluss aus dem Ausland hat neben den generösen Staatsausgaben und der lange extrem lockeren Geldpolitik der Notenbank denn auch die Grundlage des seit langem anhaltenden Konsumbooms gelegt.Im Vorjahr etwa wurden 50 % mehr Neuwagen verkauft als 2014. Eine solche Wachstumsrate kann auf Dauer nicht aufrechterhalten werden. Trotz der in diesem Jahr verlangsamten Zulassung von Autos werden nach Schätzungen von Credit Suisse die Privathaushalte 6 % mehr für Konsumgüter ausgeben als 2015. Das ist umso bemerkenswerter, als lokale Geldhäuser bereits seit einiger Zeit in der Darlehensvergabe zurückhaltender geworden sind.Zuvor war die Inflation zeitweise auf weit über 20 % nach oben geschossen und das Land 2012 nahe an den Rand einer Bankenkrise gerückt, die allerdings durch das entschiedene Eintreten der Regierung abgewendet werden konnte. Die laufende Restrukturierung der faulen Schulden von staatlichen Banken und Industrieunternehmen ist allerdings neben dem tiefen Erdölpreis auch Ursache für das anhaltend hohe öffentliche Defizit.Das Fiskaldefizit wird sich laut Credit Suisse 2016 auf 5,5 % des BIP belaufen. Dabei hat Vietnam bereits jetzt den höchsten Verschuldungsgrad aller südostasiatischen Staaten. Umso stärker ist Vietnam von ausländischen Investitionen abhängig.Ausländische Unternehmen investieren allerdings meist nicht in erster Linie mit Sicht auf den nach wie vor relativ kleinen Binnen-, sondern den Weltmarkt in Vietnam. Was das heißt, zeigt der südkoreanische Elektronikgüterkonzern Samsung, der 2015 für 20 % aller vietnamesischen Exporte stand. Allerdings spielen bei dieser Erfolgsgeschichte, ähnlich wie es auch bei anderen in Vietnam tätigen großen ausländischen Industriekonzernen der Fall ist, vietnamesische Gesellschaften als Teilezulieferer nur ein unbedeutende Rolle. Das zeigt eine anhaltende strukturelle Schwäche des Landes auf.Das aber nicht nur, weil das Land einseitig stark von den Ausfuhren abhängig ist. Anders als das etwa in China der Fall ist, sind bisher nur wenige weltweit konkurrenzfähige einheimische Unternehmen entstanden, durch die das Land erfolgreich die Wertschöpfungskette hinaufsteigen kann. Das spiegelt sich auch am lokalen Aktienmarkt wider, der extrem stark auf die Binnenwirtschaft ausgerichtet ist. In den vergangenen zwölf Monaten lag die lokale Börse aber, anders als alle anderen fernöstlichen Aktienmärkte, weit im Plus.