ANSICHTSSACHE

Vollendet den EU-Binnenmarkt

Börsen-Zeitung, 23.3.2018 25 Jahre EU-Binnenmarkt - das diesjährige Jubiläum des wichtigsten EU-Projektes ist ein Grund zu feiern, vor allem in Deutschland: Der Wirtschaft geht es so gut wie lange nicht, die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie...

Vollendet den EU-Binnenmarkt

25 Jahre EU-Binnenmarkt – das diesjährige Jubiläum des wichtigsten EU-Projektes ist ein Grund zu feiern, vor allem in Deutschland: Der Wirtschaft geht es so gut wie lange nicht, die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie zuletzt Anfang der 1990er Jahre. Die Zahl der Arbeitsplätze ist gestiegen angesichts starker Exporte deutscher Unternehmen. Das Exportvolumen hat sich seit 1993 annähernd vervierfacht. Rund 60 % aller Warenexporte haben ihr Ziel in der Europäischen Union. Der große innereuropäische Absatzmarkt hat die deutschen Unternehmen fit für den Welthandel gemacht, auch bei Exporten unter anderem in die Wachstumsregionen Asiens oder Lateinamerikas. Deutschland profitiertDie EU ist längst eine Transferunion, von der Exportnationen wie Deutschland profitieren. Wer kleinkrämerisch darauf verweist, dass Deutschland in die EU-Kohäsionsfonds jährlich mehr einzahlt, als es herausbekommt, hat von ökonomischen Zusammenhängen wenig verstanden. Nicht nur, weil Deutschland wie kein anderer europäischer Staat vom EU-Binnenmarkt finanziell profitiert. Wir haben innerdeutsch erfahren, wie wichtig es ist, strukturschwache Regionen zu unterstützen: Seit der Geburtsstunde des EU-Binnenmarktes 1993 und der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft in den neuen Bundesländern hat sich die Zahl der Arbeitslosen dort mehr als halbiert und ist heute nur noch geringfügig höher als in den alten Bundesländern.Doch allein hätten wir diese Herkulesaufgabe nicht bewältigen können. Der EU-Binnenmarkt ist die Basis für unseren heutigen Wohlstand. Deutsche Unternehmen profitieren nicht nur vom größeren Markt, sondern auch, weil EU-weit die besten Fachkräfte und Dienstleistungen angeworben und eingesetzt werden können. Erst teilweise harmonisiertAber der heutige EU-Binnenmarkt ist noch nicht vollendet, besonders beim EU-Warenverkehr und bei der Schaffung eines Binnenmarktes für Verbraucher: Das Verbraucherrecht ist erst teilweise harmonisiert. Grenzüberschreitend tätige Unternehmen müssen sich auf 28 verschiedene nationale Rechtsordnungen einstellen – verbunden mit unnötiger Komplexität, Bürokratie und Kosten. Ein Missstand, den es zu beseitigen gilt. Dennoch argumentieren Verbraucherschützer gegen eine EU-weite Harmonisierung der Verbraucherrechte. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie hier nicht zulasten der Verbraucherinteressen einer Marktabschottung Vorschub leisten. Bislang war ausschließlich auf die EU-Kommission Verlass, wenn es darum ging, auf eine vollständige Harmonisierung der Verbraucherschutzvorschriften hinzuwirken. Gegen alle Bedenkenträger hat sich die EU-Kommission zum Beispiel bei der Verbraucherrechterichtlinie und der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken durchgesetzt. Kurswechsel in BrüsselDoch inzwischen scheint die EU-Kommission einen entgegengesetzten Kurs einzuschlagen. So kündigt die tschechische EU-Justizkommissarin für April 2018 einen “New Deal” für Verbraucher an: Die Mitgliedstaaten sollen ausgerechnet bei der bereits vollharmonisierten Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken von den Mindestvorschriften abweichen können. Dies würde zulasten der Verbraucher und der Unternehmen zu einer Rechtszersplitterung führen. Im wahrsten Sinne ein Schritt “zurück in die Vergangenheit”! Augenmaß gefragtNationale Alleingänge widerstreben der Idee eines EU-Binnenmarktes. Es gilt, die Verbraucher in ganz Europa auf hohem Niveau zu schützen und nicht nur in einem Mitgliedstaat. Mitgliedstaaten, Parlamentarier, Verbraucherschützer und Unternehmen müssen daher für eine Vollharmonisierung der Verbraucherschutzvorschriften auf hohem Niveau eintreten. Schließlich ist trotz des in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich erhöhten Schutzniveaus die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen kontinuierlich gestiegen. Natürlich sollten die Vertreter der EU-Institutionen Augenmaß bewahren. Es gilt, vor allem die Bürokratielasten so gering wie möglich zu halten, da diese von kleinen und mittleren Unternehmen nur schwer geschultert werden können. Zurückhaltung ist vor allem bei bereits vollharmonisierten Vorschriften geboten. So ist beispielsweise die Verbraucherrechterichtlinie gerade erst Mitte 2014 in nationales Recht umgesetzt worden. Hier macht eine Überarbeitung vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit für Verbraucher und Unternehmen gegenwärtig keinen Sinn, denn es konnte sich in den zurückliegenden dreieinhalb Jahren keine gefestigte Rechtsprechung herausbilden. Alle betroffenen Unternehmen müssten ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen anpassen, obwohl sie dies gerade erst getan haben. Dies wäre kein sinnvoller Beitrag für das Funktionieren des EU-Binnenmarkts, sondern lediglich eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwälte zulasten der kleinen und mittleren Unternehmen. Binnenmarkt für VerbraucherÜberarbeitungen der Verbraucherschutzvorschriften sollten nur dann vorgenommen werden, wenn ein grenzüberschreitender Nutzen gegeben ist. Dabei sollte man bereit sein, einerseits das Verbraucherschutzniveau zu erhöhen, andererseits aber auch Maximalforderungen zu hinterfragen. Für Unternehmen hat der EU-Binnenmarkt in den letzten 25 Jahren schon viel erreicht, aber es ist an der Zeit auch einen EU-Binnenmarkt für Verbraucher zu schaffen.—-Elmar Pieroth war Senator für Wirtschaft sowie für Finanzen in Berlin und ist Ehrenvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU und CSU. —-In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—-Von Elmar PierothNationale Alleingänge widerstreben der Idee eines EU-Binnenmarktes. Es gilt, die Verbraucher in ganz Europa auf hohem Niveau zu schützen.—-