IM BLICKFELD

Vollgeld als demokratisches Experiment

Von Daniel Zulauf, Zürich Börsen-Zeitung, 20.3.2018 Im Zuge der Politikverdrossenheit in vielen Industrieländern erhalten die periodischen direktdemokratischen Experimente in der Schweiz ungewohnt viel Aufmerksamkeit. Das Interesse kommt nicht von...

Vollgeld als demokratisches Experiment

Von Daniel Zulauf, ZürichIm Zuge der Politikverdrossenheit in vielen Industrieländern erhalten die periodischen direktdemokratischen Experimente in der Schweiz ungewohnt viel Aufmerksamkeit. Das Interesse kommt nicht von ungefähr. Die Inhalte der Volksinitiativen, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern erlauben, selbst in die Rolle des Gesetzgebers zu schlüpfen, treffen nicht selten den Nerv der Zeit. Zudem haben die Eidgenossen gerade in den vergangenen Jahren mehrfach bewiesen, dass sie zu Überraschungen an der Urne fähig sind. Am 10. Juni steht mit der Vollgeld-Initiative ein erneuter Urnengang an, der im Ausland viele interessierte Zuschauer haben wird. Das zeigt allein schon die Zusammensetzung des wissenschaftlichen Beirates der Initiatoren, in dem sich Professoren und Dozenten aus mehreren Ländern zusammenfinden. Als einen der geistigen Väter der Initiative bezeichnet Raffael Wüthrich vom Kampagnenteam den emeritierten deutschen Soziologieprofessor Joseph Huber. Internationale Verbindungen unterhält auch der für die Kampagne zuständige Verein “Momo”, Monetäre Modernisierung, dessen Kurzname nicht zufällig identisch ist mit dem Titel von Michael Endes Kinderbuchbestseller aus den 1970er Jahren. In dem Märchen verbirgt sich jene Kritik am Wirtschaftswachstum, wie sie 1973 explizit schon der “Club of Rome” in dem legendären Bericht “Die Grenzen des Wachstums” formuliert hatte. Doch die Vollgeld-Initiative sei kein Antiwachstumsprogramm, betont Wüthrich im Wissen, dass eine solche Zielrichtung bei der Abstimmung keine Anhänger finden würde. Das Vollgeld-System, so lautet sein Argument, verschaffe den Menschen vielmehr die Möglichkeit der Wahl. Gegen private GeldschöpfungNach der Überzeugung der Initiatoren führt das bestehende System der Geldschöpfung unweigerlich zu Fehlentwicklungen. Stein des Anstoßes ist für die Vollgeld-Befürworter das sogenannte Teilreservesystem. Wenn Geschäftsbanken Kredite vergeben, dürfen sie anvertraute Kundengelder indirekt für deren Refinanzierung verwenden. Die Kundengelder stellen aber kein Geld im herkömmlichen Sinn dar – sondern als Buchgeld eine Forderung gegenüber der Notenbank. Natürlich ist der Kontobesitzer jederzeit ermächtigt, seine Forderung in “echtes” Geld, in Münzen und Noten, zu tauschen, die eine entsprechende Deckung der Notenbank besitzen. Weil dies unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen nicht geschieht, haben die Geschäftsbanken viel mehr (Buch-) Geld zur Finanzierung ihrer Kreditgeschäfte zur Verfügung, als das Volumen der eng definierten Notenbankgeldmenge angibt. Dahinter steckt die Geldschöpfung des Bankensystems, das nach Auffassung der Vollgeld-Initiatoren weder legitim noch vernünftig ist. Die private Geldschöpfung sei in der Verfassung nicht vorgesehen und sie sei, getrieben durch die Profitmotive der Geschäftsbanken, einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung abträglich. Erkennbar werden die Nuancen im bestehenden Geldsystem typischerweise aber erst in Krisen. Dann, wenn eine Geschäftsbank von einer Insolvenz bedroht ist. In diesem Fall werden alle Kunden gleichzeitig versuchen, ihre Konten zu plündern beziehungsweise ihre Buchgeldforderungen in Bargeld umzutauschen. Dieser Schaltersturm treibt eine Bank endgültig in den Ruin. Die Kunden verlieren ihre Einlagen, sofern sie nicht staatlich gesichert sind oder das im Einlagensicherungssystem definierte Maximum von 100 000 Franken übersteigen. Dass die Idee für eine Vollgeld-Initiative 2009 just in der Schweiz geboren wurde, ist nicht nur dem politischen System, sondern auch der dramatischen Bankenkrise geschuldet, die im Herbst 2008 in der staatlichen Rettung der UBS gipfelte. In einem Vollgeld-System könnten die Banken nur noch in dem Ausmaß Kredite ausreichen, in dem sie von der Notenbank direkt refinanziert würden. Sie wären also keine Kreditgeber im herkömmlichen Sinn mehr, sondern eher Kreditvermittler. Ihre Bilanzen würden auf einen Bruchteil des heutigen Volumens schrumpfen. Denn letztlich stünden die Ausleihungen und die dafür nötigen Darlehen nicht mehr in den Vermögensrechnungen der Geschäftsbank, sondern in der Bilanz der Notenbank. Die Nationalbank müsste sich somit in der einen oder anderen Form direkt mit der Qualität der auf ihrer Bilanz liegenden Kredite auseinandersetzen. Nationalbank hält gegenDiese Zentralisierung ist eines von vielen Argumenten, mit denen die Nationalbank gegen das Vollgeld-System argumentiert. Nach ihrer Auffassung bringt die geltende Arbeitsteilung trotz wiederkehrender Krisen die besseren Ergebnisse. Die Nationalbank befürchtet auch, dass Kredite im Vollgeld-System teurer werden könnten und das Wirtschaftswachstum bremsen. Auch Zwischenformen von Vollgeld wie die Schaffung von digitalem Notenbankgeld für das breite Publikum (E-Franken) lehnt sie ab. Eine Koexistenz von Buchgeld und digitalem Notenbankgeld könne sich in einer nächsten Krise destabilisierend auf das Finanzsystem auswirken, wenn das Publikum aus Sicherheitserwägungen nur noch Notenbankgeld nachfragen würde. Experimentierlabor Schweiz?Während die technische Umsetzbarkeit des Vollgeld-Systems kaum bestritten wird, brächte der radikale Wechsel auf ein weltweit noch unerprobtes System nach einhelliger Meinung von Nationalbank, Regierung und allen großen politischen Parteien im Land erhebliche volkswirtschaftliche Risiken mit sich. Das die Vollgeld-Fürsprecher in aller Welt ein solches Experiment zumal in einem wirtschaftlich bedeutenden Land nur allzu gerne sehen möchten, versteht sich von allein. Verständlich ist aber auch die Sorge von Politikern, die nicht wollen, dass die Schweiz zum Experimentierlabor einer internationalen monetären Reformbewegung wird. In der offiziellen Kampagne, die am Donnerstag anrollt, wollen die Vollgeld-Initiatoren den ideologisch aufgeladenen Diskurs entschärfen und die Diskussion entakademisieren: Wer darf überhaupt Franken herstellen? Wer profitiert vom aktuellen Geldsystem? Wer darf das Geld regieren? Die Fragen klingen einfacher, als es die Antworten sind.