KOMMENTAR

Vom Goldenen Kalb

Seitdem klar geworden ist, dass die EU-Außengrenze künftig quer durch Irland verlaufen wird, ist wieder viel vom Karfreitagsabkommen die Rede. Der Vertrag, mit dem der Bürgerkrieg in Nordirland 1998 zu Ende ging, wurde zu einer Zeit geschlossen, in...

Vom Goldenen Kalb

Seitdem klar geworden ist, dass die EU-Außengrenze künftig quer durch Irland verlaufen wird, ist wieder viel vom Karfreitagsabkommen die Rede. Der Vertrag, mit dem der Bürgerkrieg in Nordirland 1998 zu Ende ging, wurde zu einer Zeit geschlossen, in der alle beteiligten Parteien davon ausgingen, dass Großbritannien und Irland für immer Teil der EU bleiben würden. Entsprechend zahlreich sind die Verweise auf europäisches Recht sowie Institutionen und Programme der Staatengemeinschaft. Juristen sind gegen politische Heilsversprechen eben nicht immun. Das als sakrosankt geltende Abkommen könnte eine Einigung zwischen London und Brüssel unmöglich machen.Warum es zum Goldenen Kalb avancierte, ist unklar, wurde es doch längst von der Wirklichkeit überholt. Die institutionalisierte Teilung der Macht zwischen Republikanern und Unionisten, die darin festgeschrieben wird, ist im Januar vergangenen Jahres zusammengebrochen. Seitdem gibt es in Nordirland keine arbeitsfähige Regionalregierung. Weil sich eine Mehrheit gegen den Brexit ausgesprochen hatte, hofft die republikanische Partei Sinn Féin, das Thema EU-Austritt für sich ausschlachten zu können. Die Republikaner würden lieber zur Direktherrschaft aus London zurückkehren, als einen Kompromiss mit den Unionisten zu suchen. Ihnen bringt die Verschärfung des politischen Konflikts Vorteile. Sinn Féin will die Wiedervereinigung mit dem Süden. Das Karfreitagsabkommen sieht die Möglichkeit eines Referendums vor. London sollte Sinn Féin die Chance geben, eine Volksabstimmung zu verlieren. Für die Ziele der Republikaner gibt es keine Mehrheit. Das Thema wäre danach zumindest für die Dauer einer Generation vom Tisch. Das Abkommen könnte der Realität angepasst werden.Der EU-Kommission kommt in dem Streit eine unrühmliche Rolle zu. Katalanen mögen sich verwundert die Augen reiben, hatte Brüssel für ihr Ansinnen doch keinerlei Verständnis gezeigt. Den nordirischen Republikanern werden dagegen mit Vorschlägen wie der im Entwurf für den Brexit-Vertrag vorgesehenen Option eines Verbleibs in der Zollunion unrealistische Hoffnungen gemacht. Das Karfreitagsabkommen sollte auch kein Druckmittel sein, um Großbritannien zum Verbleib in Binnenmarkt und Zollunion zu bewegen. Für Eurokraten und weite Teile der Wirtschaft wäre das zwar ein bequemer Ausweg aus dem Brexit-Debakel. Aber Irland würde einen hohen Preis bezahlen, wenn es nicht dazu käme. Um den Frieden in Nordirland braucht man sich dagegen keine Sorgen zu machen. Der hängt nun wirklich nicht davon ab, ob der grenzüberschreitende Warenverkehr elektronisch erfasst wird oder nicht.