BREXIT

Von Bär, Reh und Lemming

Verkauft nicht des Bären Haut, bevor ihr ihn gefangen habt. Was der gesunde Menschenverstand nahelegt, hat an den Finanzmärkten keine Gültigkeit. Kaum verlor die Kampagne der EU-Gegner in Großbritannien etwas an Schwung, schnellte der Kurs der...

Von Bär, Reh und Lemming

Verkauft nicht des Bären Haut, bevor ihr ihn gefangen habt. Was der gesunde Menschenverstand nahelegt, hat an den Finanzmärkten keine Gültigkeit. Kaum verlor die Kampagne der EU-Gegner in Großbritannien etwas an Schwung, schnellte der Kurs der britischen Währung nach oben, als hätten sich die Bewohner des Vereinigten Königreichs bereits für den Verbleib in der Staatengemeinschaft entschieden. Die Aktienmärkte haussierten weltweit. Die Kursanstiege sorgten für eine größere Fallhöhe, wenn sich die Briten am Donnerstag für den Brexit entscheiden sollten.Tatsächlich liegen Brexit-Befürworter und Bremain-Anhänger im Schnitt der jüngsten Umfragen gleichauf. Gut möglich, dass es heute oder morgen schon wieder heißt: Der Bär ist los! Das von Boris Johnson geführte Aussteigerlager müsste nur in den Umfragen wieder etwas besser abscheiden, und das Kapital, das scheue Reh, nähme erneut Reißaus.Für riskante Wetten ist dort, wo angeblich die Zukunft gehandelt wird, offenbar unbegrenzt Liquidität vorhanden. Institutionelle Anleger bauten reichlich Cash auf, um die erwartete Volatilität für sich ausnutzen zu können. Entsprechend stark fallen die Kursschwankungen aus. Broker verschicken ständig neue Tipps, um die Kunden mit Blick auf das Referendum zum Handeln zu verleiten. Wie der gestrige Handelstag zeigt, neigen Marktteilnehmer dazu, sich dem Zug der Lemminge anzuschließen – egal in welche Richtung er sich gerade bewegt.In der wirklichen Welt läuft der Wahlkampf nach einer kurzen Verschnaufpause wieder auf vollen Touren. Von verbaler Mäßigung kann keine Rede sein, obwohl beide Seiten nach dem Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox Mäßigung angekündigt hatten. Die Vertreter von Vote Leave werden von den Bremainians nicht immer gleich mit ihrem Mörder, aber doch zumindest mit Ukip-Führer Nigel Farage in einen Topf geschmissen. Und daran, dass dem Vereinigten Königreich im Alleingang der wirtschaftliche Untergang droht, lassen sie auch keinen Zweifel. Die Brexiteers reduzierten zwar die Lautstärke und achteten zuletzt vermehrt darauf, rassistische Untertöne auszublenden. Zuwanderung ist aber nach wie vor ihr Hauptthema.Anleger mögen Halt daran finden, dass in der Vergangenheit bei ähnlichen Referenden für den Status quo gestimmt wurde. Meist glaubten die Wahlberechtigten in diesen Fällen, dass es ihnen andernfalls schlecht ergehen würde. In Großbritannien sei diese Einsicht jedoch nicht so verbreitet, sagt der Bär.