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Von der Krise zum kollektiven Selbstbetrug

Börsen-Zeitung, 18.4.2020 Die Banken loben die EZB, die Notenbanken loben die Politik und die Politiker loben sich selbst - und die Bürger. Für ihr Verständnis, ihre Opferbereitschaft, ihre Solidarität. Und die Bürger loben sogar die Politik,...

Von der Krise zum kollektiven Selbstbetrug

Die Banken loben die EZB, die Notenbanken loben die Politik und die Politiker loben sich selbst – und die Bürger. Für ihr Verständnis, ihre Opferbereitschaft, ihre Solidarität. Und die Bürger loben sogar die Politik, zumindest in Deutschland. Denn sie alle kennen die Rechnung noch nicht. Die Tausende von Milliarden, mit denen jetzt der Lockdown wirtschaftlich so erträglich gestaltet wird, dass wir uns Luxusdiskussionen über die Höhe von Dividendenzahlungen und Aufstockungen von Kurzarbeitergeld leisten können, müssen irgendwann bezahlt werden. Sie werden nicht bezahlt werden von jenen, die aufgrund ihres Alters ganz besonders von der hoffentlich erfolgreichen Eindämmung der Pandemie profitieren, sondern überwiegend von jenen, die jetzt statt in Kita und Schule ihre Zeit im Home-Office der Eltern totschlagen. Zu Lasten der JungenDie Frage der Generationengerechtigkeit, die schon bei der Debatte um Lockerung nur für Jüngere beziehungsweise Abschottung der Älteren ansatzweise sichtbar wurde, wird uns noch lange und sehr intensiv beschäftigen. Zur Erinnerung: Als nach der Finanzkrise von 2008/2009 die Verschuldung Deutschlands als Folge des Konjunkturprogramms bis auf 82 % des BIP kletterte, brauchte es ein Jahrzehnt eiserne Budgetdisziplin, um die Verschuldungsquote wieder auf die Marke des Maastrichtvertrags von 60 % herunterzuschleusen. Vor allem: Künftig wird die nationale Verschuldung nur der kleinere Teil des Problems sein. Die nächste Generation wird auch die europäischen Schulden mitschultern müssen, ob aus EU-Haushalt, ESM-Krediten, EZB-Bilanz oder vielleicht auch Corona-Bonds. Nachdem die Notenbanken – ganz offiziell wie die Bank of England oder faktisch wie Fed, Bank of Japan und EZB – von der indirekten zur direkten Staatsfinanzierung übergehen, gibt es “keine Grenze nach oben” mehr, um es mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz zu formulieren. Mehr Eigenkapital nötigDies vor Augen muss erstens hinterfragt werden, ob der Lockdown nicht schneller als bisher angedacht gelockert werden sollte bei unverändert strikten Schutzvorschriften für sogenannte Risikogruppen. Und zweitens ist zu prüfen, ob nicht ein größerer Teil des wirtschaftlichen Risikos beim Einzelnen verbleiben und eben nicht vom Staat und damit der Gemeinschaft übernommen werden sollte. Es entspräche nicht nur dem gesunden Menschenverstand, sondern auch dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden, dass ein Unternehmen so lange keine Bardividenden an seine Eigenkapitalgeber ausschüttet, solange es staatliche Hilfe empfängt wie Kurzarbeitergeld, Staatskredite oder direkte Zuschüsse. Davon ausnehmen könnte man Ausschüttungen, die im selben Zug wieder ins Unternehmen zurückfließen (“Schütt-aus-hol-zurück”) oder reine Aktiendividenden. Letztere schonen die Liquidität, und ins Risiko geht der Eigenkapitalgeber.Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass Finanzinstituten in Deutschland und der EU die nach der zurückliegenden Krise aus gutem Grund auferlegten Kapital- und Liquiditätsvorschriften gelockert werden sollen. Das Gegenteil wäre richtig. Daran hat dieser Tage der Präsident der Fed von Minneapolis und einstige Verwalter des 700 Mrd. Dollar schweren Rettungsfonds für US-Banken, Neel Kashkari, in einem Beitrag für die “Financial Times” erinnert. Nicht nur ein Dividendenstopp, sondern zusätzlich Kapitalerhöhungen wären zielführende Maßnahmen. Der Staat hatte damals den US-Banken mit insgesamt 200 Mrd. Dollar Eigenkapitalspritzen unter die Arme gegriffen und damit dafür gesorgt, dass die Institute schneller und gestärkt aus der Krise kamen. Heute sind die US-Banken in der Lage, aus eigener Kraft mit Rückstellungen von bisher 25 Mrd. Dollar – und bei Bedarf sicher noch mehr – für Corona-Risiken vorzusorgen (vgl. Leitartikel auf dieser Seite).Wohin die gegenteilige, in Deutschland favorisierte Strategie führte, sich ohne oder mit begrenzter staatlicher Kapitalhilfe gesundzuschrumpfen, muss an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Leider scheint man die Fehler von damals wiederholen zu wollen. Der befristete Einstieg des Staates ins Kapital von Banken oder auch Industrieunternehmen wäre eine bessere Strategie zur Krisenbewältigung als die fast bedingungslose Kreditgewährung. Wer zahlt, schafft anEs ist eine gefährliche Medizin, die der Staat in seiner grenzenlosen Fürsorge zur Linderung der Pandemie-Schmerzen verabreicht. Denn sie macht abhängig. Und mit dem Geld des Staates kommt auch der Machtanspruch der Politik, ihrer Funktionäre und Berater. Sie werden nicht nur vorschreiben, ab wie viel Quadratmeter Verkaufsfläche Einzelhändler ihre Läden öffnen dürfen – oder welche Branchen von solchen Beschränkungen ausgenommen werden. Sie werden auch entscheiden wollen, welche Medikamente und medizinischen Ausrüstungen von welchem Hersteller und in welchem Umfang zu bevorraten sind, welche Produktionen im Lande zu verbleiben haben, weil sie als systemrelevant anzusehen sind, und vieles mehr. Eine Intervention zieht, um schädliche Nebenwirkungen zu vermeiden, weitere Interventionen nach sich. Bis die Rechnung kommtDer Markt, der zuverlässig wie keine andere Instanz durch Preise Knappheiten signalisiert und damit die möglichst effiziente Beseitigung des Mangels anregt, würde weiter zurückgedrängt. Beim Geld ist das Knappheitssignal Zins bereits abgeschafft, es ist ja dank der Staatsfinanzierung durch die Geldpresse vermeintlich genug da für alle. Und die Banken werden die EZB loben, die Notenbanken die Politik und die Politiker sich selbst und die Bürger. Und die Bürger erfreuen sich am kollektiven Selbstbetrug und werden ihren Regierungen weiterhin Beifall spenden. Bis die Rechnung kommt. – c.doering@boersen-zeitung.de——-Von Claus DöringEs ist eine gefährliche Medizin, die der Staat in seiner grenzenlosen Fürsorge zur Linderung der Pandemie-Schmerzen verabreicht.——