Von der Leyen verliert im EU-Parlament an Boden

Enttäuschte Reaktionen mehrerer Fraktionen nach der ersten Vorstellungsrunde - Wahl zur Kommissionschefin könnte knapp werden

Von der Leyen verliert im EU-Parlament an Boden

Von Andreas Heitker, BrüsselEs lief nicht wirklich gut für Ursula von der Leyen bei ihrer ersten Werbetour durch das Europaparlament. Die Grünen und die Linken haben bereits angekündigt, die 60-Jährige nicht zur EU-Kommissionspräsidentin wählen zu wollen. Die Sozialdemokraten sind skeptisch und wollen in den nächsten Tagen weitere schriftliche Antworten sehen. Und selbst die Liberalen zweifeln noch angesichts der vagen Aussagen, die sie von der deutschen Verteidigungsministerin erhalten haben. Die Abstimmung über von der Leyen, das steht seit gestern fest, beginnt am Dienstag in Straßburg um 18 Uhr. Noch scheint völlig unklar, wo die 376 benötigten Ja-Stimmen herkommen sollen. Zoff bei den SozialdemokratenUm einmal den Taschenrechner zu bemühen: Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der auch die CDU/CSU-Abgeordneten gehören, sollte von der Leyen unterstützen – auch wenn der Nominierungsprozess und die Demontage des EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber auch hier Wunden hinterlassen haben. Die Rechtskonservativen von der EKR-Fraktion werden ebenfalls zu von der Leyens Befürwortern gezählt. Aber selbst wenn die Liberalen ihre Zweifel über Bord werfen und ebenfalls grünes Licht geben, wird es nicht reichen (siehe Grafik). Hinzu kommt: Mit der Fraktionsdisziplin ist es im EU-Parlament so eine Sache, da sich in den einzelnen Fraktionen zum Teil höchst unterschiedliche nationale Delegationen versammelt haben. Dass die Abstimmung zudem eine geheime Wahl ist, erhöht den Unsicherheitsfaktor noch einmal zusätzlich.Viel wird für von der Leyen davon abhängen, wie viele Sozialdemokraten, die die zweitstärkste Fraktion bilden, sie noch auf ihre Seite ziehen kann. Die deutschen SPD-Abgeordneten unter Führung von Jens Geier fahren einen scharfen Ablehnungskurs. Geier selbst sprach nach der Anhörung in der Fraktion von einer “Luftnummer”. Zugleich stellten die Deutschen ein zweiseitiges Papier für die Fraktion zusammen, in dem zahlreiche aktuelle und frühere Anschuldigungen gegen die Kandidatin aufgelistet sind. Titel: “Warum Ursula von der Leyen eine unzulängliche und ungeeignete Kandidatin ist”. Doch dies kam nicht überall gut an. Gestern musste Geier öffentlich zurückrudern und ließ erklären: Die Zusammenstellung sei in der Zuspitzung “missverständlich als Versuch der öffentlichen persönlichen Beschädigung” verstanden worden: “Das war nicht beabsichtigt.”Innerhalb der S&D-Fraktion gibt es zurzeit tiefe Gräben zwischen der arg geschwächten SPD und den bei der Europawahl gestärkten Sozialdemokraten vor allem aus Italien und Spanien. Die Spanierin Iratxe García hat im Juni dem Hessen Udo Bullmann den Fraktionsvorsitz abgenommen und setzt seither sehr konsequent eine eigene Agenda durch. Eine Entscheidung über von der Leyen will sie erst nach einer Fraktionssitzung am nächsten Montag treffen.Gut möglich, dass Ursula von der Leyen bis dahin auch ihrem Programm noch einmal mehr Profil gibt. Spätestens Dienstagmorgen, wenn sie in Straßburg ihre Bewerbungsrede halten wird, sind klarere Ansagen zu ihren europapolitischen Zielen gefragt. Bei ihren Vorstellungsrunden in den vergangenen Tagen war die CDU-Politikerin nach Meinung vieler Abgeordneter viel zu “nebulös” und nicht ambitioniert genug aufgetreten – sowohl in der Klimapolitik als auch bei dem Thema Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit und den Mitwirkungsrechten des Parlaments. Programm braucht KonturenDies hatte sicher mit der kurzen Vorbereitungszeit zu tun, aber wohl auch mit dem Versuch, es möglichst vielen recht zu machen. Dies führte etwa bei den Sozialdemokraten dazu, dass von der Leyen bei ihrer Befragung “freundlich bis wohlwollend” begrüßt wurde, wie es von Beteiligten hieß. Am Ende hätten sich die Abgeordneten aber “mit hochgezogenen Augenbrauen” angesehen. Beifall habe es da so gut wie gar nicht mehr gegeben. Von der Leyen dürfte genau wissen, dass dies am Dienstag anders werden muss.