Von der Leyens Team unter der Lupe
In Brüssel gibt es derzeit kaum ein anderes Gesprächsthema als die neue EU-Kommission, die Ursula von der Leyen am Dienstag im Detail vorgestellt hat. Und es gibt ja auch viele Geschichten rund um das neue Team. Da ist zum Beispiel der Litauer Virginijus Sinkevicius, der – falls er vom Europaparlament bestätigt wird – mit 28 Jahren der jüngste EU-Kommissar aller Zeiten würde. Mit gerade einmal 26 wurde er Abgeordneter des Bundes der Bauern und Grünen im litauischen Parlament und wurde gleich Chef des wichtigen Wirtschaftsausschusses. Künftig soll er sich um Europas Umwelt und die Ozeane kümmern. Oder da ist der Grieche Margaritis Schinas, der bisher als Sprecher der Juncker-Kommission tätig war und unter von der Leyen gleich zum Vizepräsidenten aufsteigt. Oder da sind die beiden mächtigen “Exekutiven Vizepräsidenten” Valdis Dombrovskis und Margrethe Vestager, die ihre bisherigen Portfolios für eine weitere Legislaturperiode behalten dürfen. Bislang war so etwas absolut unüblich gewesen. *Die 26 Männer und Frauen, die von der Leyen ausgesucht hat, werden jetzt erst einmal genauestens vom EU-Parlament unter die Lupe genommen. Bis nächsten Donnerstag dürfen Mitglieder der jeweiligen Fachausschüsse bereits schriftlich Fragen einreichen, die von den Nominierten bis Ende der darauffolgenden Woche beantwortet werden müssen. Am 30. September beginnen dann die mündlichen Anhörungen. Das Prozedere hierfür ist genau festgelegt: Einem 15-minütigen Eingangsstatement folgen 25 Fragen der Abgeordneten, jeweils mit dem Recht einer kurzen Nachfrage. Nach drei Stunden muss das Kreuzfeuer beendet sein. Im Anschluss müssen sich dann die Koordinatoren der beteiligten Ausschüsse mit Zweidrittelmehrheit einigen, ob sie den Daumen heben oder senken oder ob noch eine zusätzliche Befragung nötig ist. Spätestens am 15. Oktober sollen die Hearings abgeschlossen sein. Am 23. folgt dann das abschließende Votum des Parlaments über die gesamte neue Kommission. *Dass von der Leyens Team dann am Ende genauso aussieht wie derzeit geplant, wäre eher überraschend. Auch Jean-Claude Juncker und José Manuel Barroso mussten schon während der Hearings einzelne ihrer Kandidaten austauschen, um nicht die Zustimmung des Parlaments zur gesamten Kommission zu gefährden. Sinkevicius, Schinas, Dombrovskis oder Vestager sind in den Anhörungen wohl nicht gefährdet. Als Wackelkandidat gilt aber der Ungar Laszlo Trocsanyi, der in seinem Land als Minister eine umstrittene Justizreform mitverantwortet hat. Hinzu kommen der Pole Janusz Wojciechowski und die Französin Sylvie Goulard, gegen die noch Ermittlungen der EU-Antibetrugsbehörde Olaf laufen. Und auch die Rumänin Rovana Plumb hat in ihrer Heimat noch mit dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs zu kämpfen. *In den Anhörungen könnten auch parteitaktische Überlegungen eine Rolle spielen. Schließlich sollen der nächsten EU-Kommission nach aktuellem Stand zehn Sozialdemokraten und nur noch acht Christdemokraten von der Europäischen Volkspartei angehören. Bei Juncker gehörten noch die Hälfte aller Kommissare der EVP an. In der deutschen SPD-Gruppe im EU-Parlament rechnet man deshalb mit aggressiven Befragungen seitens der parteipolitischen Konkurrenz. Ohnehin macht sich der Unmut von manchem Abgeordneten nicht nur an den Nominierten selbst, sondern auch am Ressortzuschnitt und der dazugehörigen Namensgebung fest. Dass von der Leyen den Kampf für Rechtsstaatlichkeit oder das Thema Steuern auf mehrere Schultern verteilt hat, bewerten einige im EU-Parlament als Verschleierung politischer Verantwortung, was zu einem Aufsichts- und damit einem Governance-Problem führen kann. Und dass die Asyl- und Migrationspolitik unter dem Namen “Schutz des europäischen Lebensstils” laufen soll, ist mittlerweile auch schon Thema des neuen EU-Parlamentspräsidenten geworden. Möglich, dass von der Leyen auch hier noch einmal nachbessern muss.