Von der Stunde null zur digitalen Revolution

70 Jahre nach Ende des Krieges stehen die bayerischen Unternehmen so gut da wie nie zuvor - Globalisierung als Sprungbrett genutzt

Von der Stunde null zur digitalen Revolution

Fritz Schäffer, der erste bayerische Ministerpräsident, hätte von einer solchen Erfolgsgeschichte wohl nicht einmal zu träumen gewagt: 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist Bayern heute ein Zentrum wirtschaftlicher Dynamik inmitten von Europa. Einen Spitzenplatz im nationalen und internationalen Vergleich nimmt der Freistaat dabei nicht nur wegen seiner Wirtschaftskraft ein. Auch auf anderen wichtigen Feldern erntet es regelmäßig Bestnoten: im Bildungssektor, in der Forschung, bei den öffentlichen Finanzen, im Bereich moderner Infrastruktur oder wegen seiner hohen Umwelt- und Lebensqualität.Der Weg zur Spitze war steinig. Zur “Stunde null” war auch Bayern gezeichnet von zerstörten Städten, von großen Bevölkerungsverlusten und der Not Hunderttausender Flüchtlinge und Vertriebener. Strukturell dominierte noch in den fünfziger Jahren der Agrarsektor, sofern man von den Großstädten München, Augsburg und Nürnberg absieht. Ein schneller Wiederaufbau und Strukturwandel war vor diesem Hintergrund keineswegs wahrscheinlich. Was also ist die bayerische Erfolgsformel? Die Gründe für Bayerns Prosperität sind vielfältig. In diesem Rahmen können naturgemäß nur einige Aspekte skizziert werden. Gleiches gilt für die Frage, welche Weichenstellungen für die Zukunft relevant sind, um den “Megatrends” zu begegnen. Guter BranchenmixIm Ländervergleich zeigt sich ein sehr positiver Strukturmix der bayerischen Wirtschaft. Die in den Metropolregionen und im ländlichen Raum ansässigen Branchen sind gut diversifiziert, Gleiches gilt für die unterschiedlichen Größen der Unternehmen. Auch wegen dieser guten Diversifizierung trotzte Bayern der Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009 eindrucksvoll. Das Rückgrat der Wirtschaft bilden, neben den bekannten Dax-Unternehmen und anderen großen Akteuren, in erster Linie die mittelständischen Unternehmen.Der Mittelstand hat im Süden Tradition: In Bayern gibt es – ähnlich wie im benachbarten Baden-Württemberg – viele familiär geführte Klein- und Mittelbetriebe. Diese sind häufig seit Generationen in Familienbesitz. Mit ihrem engen Bezug zur Region und zum ländlichen Raum können diese Firmen auf besonders engagierte und loyale Mitarbeiter setzen. Zahlreiche bayerische Unternehmerinnen und Unternehmer haben sich über die Jahre hinweg sogar eine Position als “hidden champion” erarbeitet und sind Weltmarktführer in ihrer jeweiligen Branche. Oft ein “Made in Bavaria”Damit tritt ein zweiter wichtiger Erfolgsfaktor zutage: In Bayern sind Erfindergeist und Innovationskraft vielerorts anzutreffen. Heimattreue und Weltoffenheit sind keine Gegensätze, sondern gehen Hand in Hand. Viele Unternehmer haben sich frühzeitig auf den internationalen Wettbewerb eingestellt und die Globalisierung als Treiber für Wachstum und Expansion genutzt. Auch deshalb entpuppt sich das für den Wirtschaftsstandort Deutschland so wichtige Label “Madein Germany” bei genauerem Hinsehen oft als ein “Made in Bavaria”.Im Gespräch mit Unternehmern in München, Nürnberg oder Memmingen spürt man sehr schnell: Hier will man sich der – ohnehin voranschreitenden – Globalisierung nicht entgegenstellen, sondern die Entwicklung mitgestalten. Einen unentbehrlichen Wettbewerbsvorsprung generiert immer wieder High-Tech made in Bayern. Da wundert es nicht, dass das Land seit Jahren, gemeinsam mit Baden-Württemberg, die höchste Zahl von Patentzulassungen hervorbringt. “Aus Bayern in die Welt” gilt für eine ganze Reihe exportstarker Branchen. Die Stärken des Freistaats liegen unter anderem bei Maschinen- und Automobilbau, Luft- und Raumfahrt, Elektronik, IT- sowie den Energie- und Verkehrstechnologien. Hinzu kommt ein sich dynamisch entwickelnder Dienstleistungssektor, zum Beispiel in der Gesundheitswirtschaft und bei unternehmensnahen Dienstleistungen. Weitere Trümpfe ausspielenFür den Erfolg auf ausländischen Märkten ist es wichtig, neben der eigenen technologischen Kompetenz auch weitere Trümpfe im Wettbewerb auszuspielen. Dazu zählen etwa die reichlich vorhandene Erfahrung der bayerischen Unternehmen im Management komplexer Projekte und Systeme, ein erstklassiges Know-how im Finanzierungsbereich sowie die Nutzung vorhandener internationaler Netzwerke für die Anbahnung und Abwicklung von Geschäften – sei es über Kontakte der Kammern und Verbände oder auch mit Hilfe der Begleitung durch deutsche Banken im Ausland.Fundamental für den Erfolg der heimischen Unternehmen ist – als drittes Erklärungsmotiv – das traditionell sehr leistungsfähige Bildungswesen. In den Kindergärten, Schulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen entscheiden sich nicht nur individuelle Karrieren, sondern – kollektiv betrachtet – werden hier auch die Perspektiven für Wohlstand und Beschäftigung gesetzt. Die Verantwortlichen in Bayern sind sich dessen bewusst: Dem entsprechend wurden Lehrpläne, Methoden und Konzepte in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt, zum Beispiel mit Blick auf den Computer-Unterricht und die Digitalisierung. Gleichzeitig blieben Schülern und Studierenden bildungspolitische Experimente wie in manch anderen Bundesländern erspart.Über die öffentliche Hand hinaus investieren die Betriebe und andere private Institutionen, wie etwa Stiftungen, sehr umfangreich in die Ausbildung junger Menschen und die berufliche Weiterbildung. Im Freistaat hat man es seit langem klar erkannt: Der “Rohstoff Wissen”, seine Mehrung und sein innovativer Transfer in marktfähige Produkte und Dienstleistungen wird in den nächsten Jahrzehnten über die eigene Wettbewerbsfähigkeit auf den globalisierten Märkten entscheiden.Die genannten Stärken bilden eine exzellente Ausgangsposition, um die Erfolgsgeschichte der bayerischen Wirtschaft fortzuschreiben. In einem extrem dynamischen Umfeld bleibt es aber eine dauerhafte Aufgabe, die vorhandenen Stärken fortzuentwickeln. Megatrends wie zum Beispiel die demografische Entwicklung fordern auch Bayern. Attraktivität hervorhebenIn Zukunft wird die bayerische Wirtschaft noch stärker die Attraktivität des Freistaats als Ort zum Leben und Arbeiten in die Waagschale werfen. Schließlich würde ohne junge Familien und deren Nachwuchs, ohne neue Ideen und Innovationen die heute starke Unternehmenslandschaft andernfalls sehr bald erodieren. Das ist eine durchaus reale Gefahr: Das Erwerbstätigenpotenzial wird unter den bisher gegebenen Voraussetzungen in Bayern ab 2030 rasch abnehmen. Bereits heute werden in vielen Branchen und Regionen händeringend qualifizierte Unternehmensnachfolger und Fachkräfte gesucht.Viele leisten einen Beitrag, um die Folgen der skizzierten Entwicklung zu begrenzen. So begleiten Banken, Kammern und andere Partner der Wirtschaft eigentümergeführte Unternehmen bei der frühzeitigen Nachfolgeplanung. Ziel ist es, unternehmerische Lebenswerke und Arbeitsplätze wo immer möglich für die Region zu erhalten. Im selben Zusammenhang gilt es, die öffentliche Anerkennung für die Leistung von Unternehmern und Gründern immer wieder zu stärken.Wegen des abnehmenden Erwerbstätigenpotenzials gilt für Bayern das Motto “Jeder Einzelne wird gebraucht”. Für die Politik, aber auch für die Unternehmen und den einzelnen Bürger leiten sich daraus weitreichende Maßnahmen ab. Junge Menschen sind ihren Talenten gemäß noch stärker zu fördern. Ein Beispiel ist das Förderprogramm “Studienkompass”, das von der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, der Accenture Stiftung und der Deutsche Bank Stiftung initiiert wurde. Das Programm begleitet unter anderem in Bayern talentierte junge Menschen aus nichtakademischen Elternhäusern, um sie zu beraten und bei entsprechender Neigung zur Aufnahme eines Studiums zu motivieren. Seit 2007 haben mehr als 1 000 Jugendliche das Programm erfolgreich durchlaufen. 90 % der Stipendiaten nahmen ein Studium auf und nicht einmal 5 % brachen dieses ab.Auf die volle Entfaltung jugendlichen Potenzials zielt auch das Programm “Starke Schule” ab. Die Deutsche Bank Stiftung zählt seit vielen Jahren zum Kreis der Partner. Bei diesem größten Schulwettbewerb Deutschlands werden alle zwei Jahre Schulen ausgezeichnet, die sich in herausragender Weise für ihre Schüler einsetzen und diese berufsreif machen. Viele bayerische Schulen haben bei diesem Wettbewerb in den vergangenen Jahren überregionale Anerkennung erfahren und vom Austausch mit anderen Siegerschulen profitiert. Schließlich gilt es, eine noch größere Zahl besonders begabter Schüler und Studierender für Studium und Forschung an den bayerischen Hochschulen zu gewinnen und dann möglichst auch im Lande zu halten – sei es als hoch qualifizierte Fachkraft oder sogar als Unternehmensgründer. Beste Köpfe für das LandDie hervorragenden Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen des Freistaats sind in diesem Kontext wichtige Leuchttürme, um die besten Köpfe für Bayern zu gewinnen. Ja, Bayern braucht eine “Elite” im besten Sinn: Menschen, die sich wichtigen Aufgaben gerne und verantwortlich stellen und mit ihrer persönlichen Leistung der Gesellschaft dienen. In diesem Kontext ist die wertvolle Arbeit der Bayerischen EliteAkademie für künftige Führungskräfte hervorzuheben. Getragen von einem namhaften Kreis von Stiftern, Förderern und Mentoren aus den verschiedensten Wirtschaftsbereichen, begleitet die EliteAkademie junge Studentinnen und Studenten in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, ergänzend zur fachorientierten Hochschulausbildung.”Nachwuchsförderung” in ganz anderer Hinsicht sind Maßnahmen und Angebote, die sich an Familien richten: Männer und Frauen sollen sich die beiden Lebensaufgaben “Berufstätigkeit” und “Familie” noch besser partnerschaftlich teilen können. Eine Konsequenz hieraus ist der weitere Ausbau familienfreundlicher Arbeitsbedingungen und ein hinreichendes Kinderbetreuungsangebot in Stadt und Land. Ein dritter Adressatenkreis ist die Generation der “Best Ager” in den Unternehmen. Sie soll in die Lage versetzt werden, möglichst lange in ihrem qualifizierten Beruf aktiv zu bleiben und zur Wertschöpfung beizutragen. Die Voraussetzungen hierfür sind, neben entsprechenden individuellen Anreizen, kontinuierliche Weiterbildungsangebote auch für ältere Arbeitnehmer.Die hier skizzierten Maßnahmen werden Wirkung zeigen. Zusätzlich aber ist Bayern auch auf den Zuzug von außen angewiesen. Das Land hat in seiner langen Geschichte immer wieder Migrationsbewegungen erlebt – und am Ende immer davon profitiert. In der jüngeren Vergangenheit waren es zunächst die Ströme von Flüchtlingen und Vertriebenen nach dem Krieg. Obwohl anfangs keineswegs überall mit offenen Armen aufgenommen, wurde Bayern für diese Familien aus Schlesien, Siebenbürgen und den anderen Ostgebieten bald zur neuen Heimat.Mit ihrem Überlebenswillen, mit Fleiß und Können gestalteten die Menschen den Wiederaufbau und den Strukturwandel entscheidend mit. Nach den Vertriebenen kamen ab Ende der fünfziger Jahre die ersten Arbeitskräfte aus Italien und anderen südeuropäischen Ländern. Es folgten viele Menschen aus der Türkei, Vietnam und weiteren Staaten. In den achtziger Jahren zog es viele Bürger aus dem gesamten Bundesgebiet in den Süden Deutschlands, und schließlich erlebte Bayern vor 25 Jahren eine weitere Welle von Neubürgern. Der Fall der Mauer eröffnete damals vielen jungen Ostdeutschen die Chance, in Bayern heimisch zu werden und hier ihre persönliche Zukunft aufzubauen. Aufstrebende Start-up-SzeneNeben der Demografie stellt die Digitalisierung einen weiteren Megatrend dar. Sie bedeutet für die bayerischen Unternehmen eine große Herausforderung, gleichzeitig birgt sie enorme Chancen. Viele Experten sehen die industrielle Produktion unmittelbar vor einer Revolution: “Industrie 4.0” lautet dabei das Stichwort. Die digitalen Innovationen haben das Zeug dazu, die bisherigen Wertschöpfungsketten aufzubrechen. Für die Unternehmen kommt es darauf an, diesen Wandel in ihre jeweiligen Prozesse zu integrieren. Neben der Industrie verändert die Digitalisierung aber vor allem Handel und Dienstleistungen, unter anderem das Geschäft der Banken. Welches Wachstumspotenzial in der Digitalisierung steckt, zeigt exemplarisch die aufstrebende Start-up-Szene in der Metropolregion München. Hier trifft man eine ganze Reihe junger IT-Firmen, deren Geschäftsmodelle auf den Möglichkeiten des Internet aufbauen und die auf ein rasches internationales Wachstum abzielen.Wichtige Rahmenbedingungen für die hohe Attraktivität des Standortes München sind in diesem Kontext eine gründerfreundliche Wirtschaftsförderung, das exzellente Arbeitskräfteangebot sowie relevante Netzwerke aus Business Angels und anderen Know-how-Gebern. Darüber hinaus gilt München als ein überaus wichtiger Standort für die Bereitstellung von Beteiligungskapital. Entsprechende Adressen vor Ort sind Private-Equity-Firmen mit internationaler Reputation, sehr leistungsfähige regionale Beteiligungsgesellschaften, aber auch private Wagniskapitalgeber.Weil das Internet einen tiefgreifenden Wandel in allen beruflichen und privaten Lebenswelten anstößt, lenkt die Deutsche Bank gemeinsam mit der Standortinitiative “Deutschland – Land der Ideen” in diesem Jahr den Blick auf die 100 besten Ideen, die Deutschlands Zukunft im digitalen Zeitalter positiv gestalten. Das Motto des Wettbewerbs lautet “Stadt, Land, Netz! – Innovationen für eine digitale Welt”. Im März endete die Bewerbungsfrist, aktuell wählt eine hochkarätig besetzte Jury die Preisträger aus und gibt diese dann am 11. Mai bekannt. Viele Teilnehmer des Wettbewerbs sind aus Bayern und werden das Wettbewerbsjahr gespannt verfolgen.—Ulrich Schürenkrämer, Vorsitzender der Regionalen Geschäftsleitung Süd der Deutschen Bank