ANSICHTSSACHE

Von Leichtmatrosen und dem lieben Geld auf Pump

Börsen-Zeitung, 30.3.2019 Lockerung der Schuldenbremse, Abkehr von der "schwarzen Null"? Es ist ein Trauerspiel, eigentlich an Absurdität kaum zu überbieten und doch so enttäuschend wenig überraschend: In einem Jahr mit neuerlichem Rekord an...

Von Leichtmatrosen und dem lieben Geld auf Pump

Lockerung der Schuldenbremse, Abkehr von der “schwarzen Null”? Es ist ein Trauerspiel, eigentlich an Absurdität kaum zu überbieten und doch so enttäuschend wenig überraschend: In einem Jahr mit neuerlichem Rekord an Steuereinnahmen, mit anhaltend starker Entlastung der öffentlichen Haushalte durch die Niedrigzinspolitik der EZB und mit guter Konjunktur wird das Lied neuer Schuldenaufnahme angestimmt. An Geld mangelt es nichtSelbstverständlich wird dafür ein guter und einleuchtender Zweck ins Feld geführt: Investitionen in die Zukunft. Dass mehr davon notwendig sind, zum Beispiel für analoge und digitale Infrastruktur, für Forschung und Entwicklung von nicht nur künstlicher Intelligenz, trifft zu. Warum allerdings ein “kreditfinanzierter Investitionsfonds” notwendig oder wieso die Schuldenbremse an ungenügenden Investitionen des Bundes und der Länder schuld sein soll, erschließt sich deshalb noch lange nicht. Weder steht die Schuldenbremse Investitionen im Weg, noch mangelt es am Geld – es fehlt schlicht und einfach an politischem Willen.Exemplarisch dafür ist die Debatte um den Bundeshaushalt 2020. Kaum fallen die aus den vergangenen Jahren gewohnten Einnahmezuwächse geringer aus – von einem Rückgang und einer Krise kann noch gar keine Rede sein -, ist ein bekanntes politisches Verhaltensmuster zu beobachten: Während zusätzliche Sozialausgaben wie die Mütterrente und anderer zum Gesetz geronnener Unsinn wie eine Eins stehen, wird bei der inneren und äußeren Sicherheit sowie ausgerechnet bei der Zukunft gespart, so in Form der Reduzierung der versprochenen Ausgaben für künstliche Intelligenz oder von Kürzungen im Bildungs- und Forschungsministerium. (Wahl-)Erfolg zeigt sich eben schneller bei Rentengeschenken, die Digitalisierung dagegen sollen dann wohl spätere Regierungen richten – wenn es zu spät ist? Vielleicht hilft es, ein paar Fakten und Beweggründe in Erinnerung zu rufen: Segen der Schuldenbremse1. Zu lange galt in Deutschland das Diktum Schumpeters uneingeschränkt: “Eher legt ein Hund einen Wurstvorrat an als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve.” Von 1969 bis 2013 wurden Jahr für Jahr neue Schulden aufgenommen. Umso beachtlicher ist aus heutiger Sicht, dass es Mitte des letzten Jahrzehnts gelang, das Bewusstsein für die Risiken und Folgen der Schuldenpolitik zu schärfen – schon vor der Krise ab 2008, die deutlich machte, wie erdrückend Schulden sein können und wie wichtig politische Handlungsspielräume in Notzeiten sind.2. Die inzwischen zehn Jahre alte Schuldenbremse hat sich bewährt. Ohne sie wäre es – günstige Umstände hin oder her – kaum zu den vordergründig ausgeglichenen Haushalten seit 2014 gekommen: Vor der Wirkung der Schuldenbremse hat es Peer Steinbrück nicht vermocht, die massive Mehrwertsteuererhöhung 2007 auch nur für den Versuch eines Haushaltsausgleichs zu nutzen.3. Die Schuldenbremse lässt womöglich nicht zu wenig, sondern eher zu viel Raum, zumindest für verdeckte neue Schulden. Mit den Rentenpaketen 2014/2018 und neuen Zusagen zum Beispiel in der Pflegeversicherung haben die gleichen Bundesregierungen, die sich für ausgeglichene Haushalte feiern ließen, die strukturellen impliziten Lasten beziehungsweise die langfristigen Verbindlichkeiten noch in die Höhe getrieben. Der Sozialstaat wirkt segensreich, ist aber immer gefräßiger – im Bundeshaushalt 2020 verschlingt er klar über 50 % der Ausgaben. Besonders verhängnisvoll: Seit 2013 ist in guten Zeiten der Anteil der Sozialausgaben am Haushalt gegen jede Regel der Vernunft gewachsen. Die daraus resultierenden Risiken bei schlechterer Konjunktur und angesichts der unvermeidlich kommenden demografischen Krise hat mancher Leichtmatrose dabei herzlich wenig berücksichtigen wollen.4. Heute gilt eher: Je mehr Geld die Politik hat, desto mehr hat sie zu wenig. Die konsumtiven Ausgaben sind über Jahre massiv angestiegen, und doch wird mehr als je zuvor über “Gerechtigkeitslücken” und gefühlte Not geklagt. Politiker bedienen diese Stimmungen generös. Sobald Geld da ist, wird es ausgegeben – eben nicht für Investitionen, sondern für Wohltaten. 2018 sprach Bände: Während für die Rente bis 2025 rund 40 Mrd. zusätzlich festgelegt wurden, sollte im gleichen Zeitraum künstliche Intelligenz mit schmählichen, aber umso vollmundiger angekündigten 3 Mrd. Euro gefördert werden – von denen ein Teil derzeit wieder in Frage steht.5. Trotz erfahrungsgemäß geringer Aussicht darauf, dass Politiker zumindest offensichtlich ineffiziente Sozialausgaben einmal zugunsten von Investitionen überprüfen – ein Dammbruch bei der Schuldenbremse sollte unterbleiben. Am Ende würden die Investitionen zwar leicht ansteigen, was für sich ja sinnvoll wäre. Wesentlich mehr neue Kredite wanderten aber schnell in andere Bereiche, wie in eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung oder das schon geforderte staatliche Vollkasko bei der Pflege. Da Schulden unverändert immer noch auch die Steuern von morgen sind, kämen weitere Lasten auf die zuletzt schon arg gebeutelten jüngeren Generationen zu. Vor der BewährungsprobeDen meisten derjenigen, die sich an der Schuldenbremse stören, dienen Investitionen eher als ein vorgeschobener Grund. In Wahrheit geht es um mehr Beinfreiheit für Politik, im Zweifel um neue Wohltaten. Die Schuldenbremse hat gut funktioniert – allerdings bei lange schönem Wetter. Bald wird sich zeigen, wer nur Leichtmatrose ist und wer auch etwas rauere See aushält. Wie schrieb bereits Anfang 2012 Finanzstaatssekretär Werner Gatzer? “Erst in konjunkturell schwächeren Phasen hat die Schuldenbremse ihre erste harte Bewährungsprobe zu bestehen.”—-Prof. Dr. Michael Eilfort ist Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft, Berlin. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Michael EilfortDie konsumtiven Ausgaben sind über Jahre massiv gestiegen, und doch wird mehr als je zuvor über “Gerechtigkeitslücken” und gefühlte Not geklagt.—–