Von Negativzinsen und Lieblingsvögeln
Von Julia Wacket, FrankfurtWer in der EU Einfluss haben will, muss auf Twitter aktiv sein. Das weiß nicht nur die Kommissionspräsidentin in spe, Ursula von der Leyen, die dort als erste Amtshandlung nach ihrer Nominierung ein Profil erstellte, sondern auch der neue EZB-Chefvolkswirt Philip Lane. Der Ire stellte sich gestern seiner ersten Frage-und-Antwort-Runde bei Twitter. 45 Minuten lang beantwortete er Fragen der User, die diese unter dem Hashtag #AskECB stellen konnten. Dabei bewies der 49-Jährige nicht nur seinen irischen Humor, sondern gab auch erstmals Einblicke in seine geldpolitische Ausrichtung.In mehreren Antworten demonstrierte Lane, dass er ein Unterstützer des taubenhaften Kurses von EZB-Präsident Mario Draghi ist. Proaktive Maßnahmen wie Negativzinsen seien der sicherste Weg, um sicherzustellen, dass die Inflation sich dem EZB-Ziel annähere. Eine vorübergehende Periode negativer Zinssätze sei der Weg zu positiven Zinssätzen in der Zukunft. Ähnlich wie Draghi verwies Lane auf die Handlungsbereitschaft der EZB. Es sei immer noch eine erhebliche geldpolitische Unterstützung nötig, um die Inflation in Richtung unter, aber nahe 2 % zu bewegen. “Wenn nötig, sind wir bereit zu handeln. Wir haben sicherlich die Instrumente und besitzen einen guten Leistungsnachweis bei der Antwort auf unterschiedliche Gefahrenquellen.”Gleichzeitig nahm er andere Akteure in die Pflicht – “unsere Geldpolitik ist am effektivsten, wenn andere Akteure ihren Beitrag leisten” – und stellte klar, dass sich die EZB nicht von den Märkten in die Enge treiben lasse: “Unser Ziel ist es nicht, die Märkte glücklich zu machen, sondern günstige Finanzierungsbedingungen zu schaffen, die die Realwirtschaft stimulieren und die Inflationserwartungen verankern können.” Auch gab Lane Einblicke, wie man die Eurozone weiterentwickeln könnte: “Ich möchte die Rolle der makroprudenziellen Politik, der Banken- und Kapitalmarktunion und eines wirksamen finanzpolitischen Rahmens hervorheben.”ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski hatte seine Recherche derweil besonders gut gemacht. Er verwies in seiner Frage darauf, dass Lane in einem Papier von 2012 zu dem Schluss gekommen war, dass das Szenario, in dem die einheitliche europäische Währung auseinanderbricht, nicht länger undenkbar sei, und fragte, ob der Chefvolkswirt sieben Jahre später immer noch zu dieser Schlussfolgerung kommen würde. Diplomatisch konterte Lane, dass seit 2012 viel passiert sei, einschließlich Draghis berühmter “Whatever it takes”-Rede. Die Eurozone sei heute viel widerstandsfähiger. Weitere Verbesserungen in der Architektur wären aber zu begrüßen.Zum Schluss bewies Lane, dass er kommunikativ mindestens genauso gewitzt ist wie seine zukünftige Chefin Christine Lagarde. Auf die Anspielung eines Users, welches sein liebster Raub- bzw. Friedensvogel sei, antworte der Ire “der Liver Bird” und outete sich so als Fan des FC Liverpool.Die Twitterwelt dürfte derweil schon Lagardes erster Frage-und-Antwort-Runde entgegenfiebern. Lagarde besitzt sogar einen eigenen Twitter-Account. Dass sie dort als EZB-Präsidentin weitertwittern wird, ist aber unwahrscheinlich. Einen eigenen Account hat weltweit bis jetzt noch kein Notenbankpräsident. Andererseits ist Lagarde immer für Überraschungen gut: Kürzlich trat sie als erste Chefin des IWF in einer US-Talkshow auf. Die Kommunikationsabteilung der EZB und die Twitterwelt dürfte gespannt sein.——Neuer EZB-Chefvolkswirt stellt sich erster Frage-und-Antwort-Runde bei Twitter.——