Von Strickpullovern und Doggie Bags
Während sich die deutschen Ordnungskräfte, Feuerwehren und Krankenhäuser auf den Silvesterabend vorbereiten, haben ihre britischen Kollegen das Schlimmste bereits hinter sich. Der Freitag vor Weihnachten wird im Kollegenkreis mit exzessivem Alkoholgenuss begangen, oft gefolgt von Schlägereien – was ihm den Spitznamen Black Eye Friday eingebracht hat. Wer danach nicht genug hat, kann am Mad Saturday weiterfeiern. Der Jahreswechsel ist dagegen eine vergleichsweise beschauliche Angelegenheit. Die Polizei stellt vor dem Black Eye Friday an zentralen Punkten sogenannte Drunk Tanks ab, die als Ausnüchterungszellen genutzt werden können. In manchen Städten wird das Partyvolk wie am Flughafen durch Metalldetektoren geschleust, um Stichwaffen rechtzeitig einsammeln zu können. Die Boulevardpresse veröffentlicht im Anschluss die besten Fotos orientierungsloser Frauen und Männer mit Nikolausmützen. Allerdings wurde Trägern von Strickpullovern mit weihnachtlichen Motiven in diesem Jahr in so mancher Kneipe im Norden Englands der Eintritt verwehrt. Man habe schlechte Erfahrungen mit solchen Gruppen gemacht, hieß es zur Begründung. Sie werden zunehmend so behandelt wie Teilnehmer von Junggesellenabschieden, die oft ebenfalls kostümiert durch die Innenstädte wanken. Tatsächlich ist der Christmas Jumper keine alte britische Tradition, sondern wurde erst in den achtziger Jahren so richtig beliebt. Wer “Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück” gesehen hat, weiß, wie peinlich dieses Kleidungsstück sein kann. *Einem von vier Briten wäre es nicht zu Weihnachten peinlich, sich im Restaurant Essensreste einpacken zu lassen. Während Doggie Bags in den Vereinigten Staaten seit den vierziger Jahren zum Alltag gehören, werden sie im Vereinigten Königreich wenig nachgefragt. “Vielleicht fragt alle paar Wochen einmal ein Kunde danach”, sagte James Plant, Eigentümer des Restaurants Mish Mash in Manchester, dem Fernsehsender Channel 4, der im Rahmen eines Experiments allen Gästen eines Abends ihre Reste einpacken ließ. Manche Tüten blieben einfach auf den Tischen stehen. Zu groß ist die Angst, vom Gegenüber für geizig gehalten zu werden. Dabei sind die Portionen in der Gastronomie in den vergangenen Jahren immer größer geworden – während der Preis eines Hauptgerichts seit 2015 sinkt, wie aus den Daten des Marktforschers Horizons hervorgeht.Der Sustainable Restaurant Association (SRA) zufolge wirft die Branche alljährlich 600 000 Tonnen Lebensmittel weg. Alles in allem könnte sie durch Recycling und Abfallvermeidung mehr als 700 Mill. Pfund pro Jahr sparen. Pro Restaurant beliefen sich die Lebensmittelabfälle auf 21 Tonnen, was dem Gewicht von drei Doppeldeckerbussen entspricht. Etwa 30 % davon sind Reste von den Tellern der Gäste. Nach Schätzung des Verbands ließe sich allein in London ein Fünftel der Lebensmittelabfälle einsparen. Channel 4 befragte 20 Ketten nach ihrer Politik zur Abfallvermeidung – 11 davon antworteten auch auf wiederholte Nachfragen nicht.Die SRA wirbt seit Jahren für eine Doggie Box aus biologisch abbaubarem Recycling-Material – mit mäßigem Erfolg. Er lasse sich alles einpacken, was er nicht schaffe, sagt dagegen Giles Coren, der Restaurantkritiker der “Times”. Das sei eine exzellente Vorgehensweise, um für die “absurden Kosten” eines Mahls in einem Restaurant eine weitere Mahlzeit zu bekommen, nicht mehr Kalorien in sich hineinzustopfen als nötig und den Koch nicht zu verärgern. Die mexikanische Kette Wahaca hat ihr Personal nach eigener Darstellung so ausgebildet, dass es den Kunden nicht mehr verkauft, als diese essen können. Zudem bekommen die Gäste ihre Reste in einer Doggie Box mit nach Hause, samt Tipps, was sie damit anfangen können – etwa dass sich die Innereien von Tacos gut als Füllung für Omeletts eignen. Henry Dimbleby, einer der Gründer der Kette Leon, rät den Gästen, nicht schüchtern zu sein: “Sie haben dafür bezahlt. Es gehört Ihnen.” Es sind aber nicht nur die Briten, die sich mit Doggie Bags schwertun: Auch ein Viertel der Italiener, das ergab eine Umfrage des Bauernverbands Coldiretti, hält die Frage danach für einen Ausdruck von Armut, schlechtem Benehmen oder einfach für vulgär.