ZINSENTSCHEIDUNGEN DER NOTENBANKEN - GASTBEITRAG

Von wegen Tapering - Kalter Entzug statt schrittweises Absetzen?

Börsen-Zeitung, 17.3.2017 Es erinnert ein wenig an den berühmten Streit um des Kaisers Bart. Ist der Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Dezember 2016, das Volumen der monatlichen Anleihekäufe ab April 2017 zwar von 80 auf 60 Mrd. Euro...

Von wegen Tapering - Kalter Entzug statt schrittweises Absetzen?

Es erinnert ein wenig an den berühmten Streit um des Kaisers Bart. Ist der Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Dezember 2016, das Volumen der monatlichen Anleihekäufe ab April 2017 zwar von 80 auf 60 Mrd. Euro zu reduzieren, gleichzeitig das Programm aber zeitlich zu verlängern, nun Tapering oder nicht? Sprich: Ist dies der Beginn des geldpolitischen “Ausschleichprozesses”, eines langsamen Absetzens der geldpolitischen Not-Medikamente? Die EZB jedenfalls war auch zuletzt eher um Relativierung bemüht. Sie habe lediglich eine Kalibrierung ihrer Politik der quantitativen monetären Lockerung vorgenommen. Maximal ein DrittelVon größerer Tragweite scheint aber die wenig diskutierte Frage zu sein, ob es am Ende des aktuell geplanten Anleihekaufprogramms überhaupt technisch noch so etwas wie Tapering geben kann. Hier dürfen aus heutiger Sicht Zweifel angemeldet werden. Das Volumen der bislang bereits gekauften nationalen Staatsanleihen legt nämlich nahe, dass gegen Jahresende 2017 eher eine Vollbremsung droht. Oder – um im medizinischen Jargon zu bleiben: kalter Entzug statt schrittweises Absetzen. Denn die EZB hat sich Grenzen gesetzt, wie viel Prozent der ausstehenden Staatsschulden sie im Rahmen ihres Instrumenteneinsatzes in toto kaufen darf. Dies sind je Land maximal ein Drittel der insgesamt begebenen Staatsschuldentitel. Jenseits dieser Hürde besteht die Gefahr, dass sich die Bank nach Lesart des Europäischen Gerichtshofs und des deutschen Bundesverfassungsgerichts in den ihr verbotenen Bereich der Staatsfinanzierung begibt (was Kritikern zufolge längst geschehen ist). Die EZB hat diese Grenze zuletzt mehrfach erwähnt und bestätigt.Rechnet man nun auf Basis der bereits erworbenen Staatspapiere und der bestehenden Kaufprogramme hoch, so ergibt sich ein möglicherweise unliebsames Ergebnis. Für die ersten Länder wie Portugal und Finnland könnte die 33-Prozent-Grenze ceteris paribus bereits im Sommer erreicht werden. Deutschland, die Niederlande, Spanien sowie Slowenien, die Slowakei und Luxemburg dürften sich unter unveränderten Annahmen zum Jahreswechsel dem kritischen Bereich nähern. Kaum Platz für VerlängerungSieht man nun diesen Schwellenwert als unumstößlich an, wird dreierlei klar: Erstens, für eine signifikante weitere Verlängerung der Anleihekäufe ist kaum mehr Platz. Zweitens, Tapering wird zum Klippenspringen. Es wird schneller als von Anlegern erwartet in Richtung Normal null gehen müssen. “Buchstabier mal Acapulco!” pflegte Bernd Sobeck von Tennis Borussia Berlin in den 60er Jahren seinen Gegenspielern zuzuraunen – um dann einen kurzen Augenblick der Ablenkung zu nutzen, um ihnen den Ball abzuluchsen. Die Marktteilnehmer sollten sich nicht derart verwirren lassen, etwa durch Vergleiche mit dem Ausschleichprozess in den USA. Ab der ersten Diskussion hat dieser immerhin eineinhalb Jahre gedauert. In Europa wird es wohl schneller gehen.Drittens und bis dato kaum thematisiert: Ein größeres OMT-Programm (Outright Monetary Transactions – unlimitierte konditionierte Anleihekäufe) für den Krisenfall kann es eigentlich nicht mehr geben. Ein abrupter Stopp der Anleihekäufe birgt jedoch die Gefahr kurzzeitiger Marktturbulenzen.Deshalb wäre es angebracht, bereits jetzt das Ruder umzuwerfen und die Kaufprogramme anzupassen. Zudem sollte der negative Einlagensatz schnellstmöglichst abgeschafft werden. Letzteres auch deshalb, weil es ohnehin Indizien dafür gibt, dass er zu weit gesenkt wurde und mittlerweile kontraproduktiv wirkt. Das Stichwort lautet “Reversal Interest Rate” – ein Zinsniveau, ab dem sich die Wirkungsrichtung der Geldpolitik umkehrt und somit pervertiert. Eine gute Konjunktur über Trendwachstum und eine abgeebbte Deflationshysterie lassen beide Maßnahmen zeitnah zu. Der diesjährige europäische Wahlkalender sollte dabei keine Rolle spielen. Kreative InterpretationMöglicher scheint aber leider das Gegenteil: etwa eine (weitere) sukzessive Aufweichung des Kapitalschlüssels (an dem sich die Länder-Verteilung der Anleihekäufe orientiert), eine kreative Interpretation des 33-Prozent-Limits und/oder ein stärkeres Ausweichen auf Papiere staatsnaher Emittenten.Damit würde aber das gefährliche Regime der fiskalischen Dominanz verfestigt. Geld- und Finanzpolitik haben nämlich ihre traditionellen Rollen getauscht. Die Geldpolitik sichert die Solvenz von Staaten. Die Höhe der Inflation wird dagegen von den Nöten der Fiskalpolitik bestimmt. Das zeigt die irrlichternde Diskussion der Vorzüge von 4 statt 2 % Inflation. Die natürliche Definition der Preisstabilität als Inflation von null ist schon lange ad acta gelegt. Als Sparer und Verbraucher kann man nur den Kopf schütteln.Die Zentralbanken erscheinen dabei als verlängerte Werkbank der Finanzministerien. Mit Blick auf das Demokratie-Prinzip wirft dies schwerwiegende Fragen hinsichtlich der Legitimierung der Notenbank als politisch unabhängige Institution auf. Der Satz “Whatever it takes …” – als eine Art politische Garantieerklärung für einen Staatenverbund – ist insofern problematisch. Zudem ist der kakophonische Dissens über die Richtung, welche die Europäische Union einschlagen soll, dem Projekt Europa nicht förderlich. Der kürzlich verstorbene Journalist Hans D. Barbier mahnte bereits vor Jahren: “Irgendwann werden die Historiker zu schreiben haben: Sie wollten die Einheit retten und haben dafür den Zerfall Europas in Kauf genommen.” Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.—-Ingo Ralf Mainert, Chef-Anlagestratege Multi Asset Europa bei Allianz Global Investors