LEITARTIKEL

Vor dem Krisengipfel

Monatelang hatte die Eurogruppe über konkrete Schritte für eine Vertiefung der Währungsunion beraten. Zeitweise wurden auch die übrigen Finanzminister der EU-27-Staaten noch mit einbezogen. Ziel war es, die Architektur der Eurozone...

Vor dem Krisengipfel

Monatelang hatte die Eurogruppe über konkrete Schritte für eine Vertiefung der Währungsunion beraten. Zeitweise wurden auch die übrigen Finanzminister der EU-27-Staaten noch mit einbezogen. Ziel war es, die Architektur der Eurozone widerstandsfähiger gegen künftige Krisen zu machen. Doch es ist nicht gelungen, wie eigentlich geplant, bis zum EU-Gipfel in dieser Woche die Diskussionen zu einem Abschluss zu bringen, konkrete Kompromisse in allen wichtigen Reformsträngen und eine gemeinsame Ausrichtung zu präsentieren. Die lange Regierungsbildung in Deutschland mag dabei eine Rolle gespielt haben. Die Eurogruppe zeigt sich zurzeit aber insgesamt führungs- und entscheidungsschwach. Hinzu kommt: 20 Jahre nach der ersten Sitzung des Gremiums sind derzeit drei Gruppen auszumachen, die schwer unter einen Hut zu bekommen sind. Am konstruktivsten geben sich aktuell Deutschland und Frankreich. Es ist ein Verdienst der beiden Finanzminister Olaf Scholz und Bruno Le Maire, in mühevoller Kleinarbeit zum Teil konträre Positionen erfolgreich zu einem gemeinsamen Fahrplan für die Währungsunion zusammengebracht zu haben – selbst wenn man nicht mit allen Kompromissen aus der “Meseberger Erklärung” einverstanden sein kann. Die Kritiker, die alle weiteren Schritte einer Vergemeinschaftung und allen voran ein Eurozonen-Budget ablehnen und auf nationale Reformen in den Mitgliedstaaten pochen, scharen sich derweil um die Niederlande. Zu ihnen gehören mittlerweile zehn Euro-Länder. Und dann bleiben noch die sieben übrigen (süd)europäischen Partner rund um Italien, Portugal, Spanien oder Griechenland.Doch was bedeutet das Ganze jetzt für den anstehenden Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs, die am Freitag in Brüssel über Reformen in der Währungsunion entscheiden wollen? Eurogruppen-Chef Mario Centeno hat gestern einen Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk geschrieben, in dem er auf drei Seiten den Stand der monatelangen Diskussionen zusammenfasst. Konkret wird es hier lediglich in einem Punkt: Die Letztsicherung für den europäischen Bankenabwicklungsfonds nimmt Gestalt an. Hier herrscht weitgehender Konsens unter den Finanzministern, dass dieser Backstop spätestens 2024 in Form einer revolvierenden Kreditlinie eingeführt und dann beim Euro-Rettungsschirm ESM aufgehängt wird. Ansonsten bemüht Centeno viel Nichtssagendes, etwa, dass Risikoreduzierung und Risikoteilung auch nach 2018 fortgesetzt werden müssten.Das bedeutet unter anderem, dass das Thema europäische Einlagensicherung, das in den vergangenen Jahren so viel Zwietracht gebracht hat, für eine gewisse Zeit wieder vom Tisch ist. Jetzt wird erst einmal an einer Roadmap gearbeitet, die dann irgendwann zu einer politischen Diskussion führen könnte. Kurzfristig dürfte es aber auch keine Entscheidung für ein Eurozonen-Budget geben, das sich ja in der deutsch-französischen Verständigung wiederfindet. Gegen einen solchen eigenen Euro-Etat gibt es – selbst als Teil des normalen EU-Haushalts – immer noch gewaltige Vorbehalte in zahlreichen Ländern. Warum für die Eurozone, die nach dem Brexit für 85 % der Wirtschaftskraft in der EU steht, ein eigener Parallelhaushalt aufgebaut werden soll, erschließt sich ja auch nicht unbedingt. Und die Weiterentwicklung des ESM zu einem europäischen Währungsfonds? Diese Debatte wird fortgesetzt. Vor allem künftige neue Instrumente zur Kreditvergabe bleiben umstritten.Es ist nicht der große Wurf für eine Reform der Eurozone, sondern eher eine Art Minimalkonsens, auf den sich die Staats- und Regierungschefs in dieser Woche einigen werden. So ist Europa halt, werden sicher einige sagen. Es kann nur in Trippelschritten vorangehen. Aber vielleicht ist zurzeit auch einfach noch zu wenig Krise, die – wie in der Zeit nach 2010 in der Eurogruppe gut zu beobachten war – die Bereitschaft zu Kompromissen und gemeinsamen Weichenstellungen doch deutlich erhöht.Auf dem EU-Gipfel steht die Eurozone ohnehin erst als Letztes auf der (Krisen-)Agenda. Die Asyl- und Flüchtlingspolitik überlagert zurzeit die Debatten, und die Themen Handel und Brexit bieten ebenfalls noch Zündstoff. Von daher dürfte es manchem Regierungschef durchaus zupass kommen, dass sich die Eurozone aktuell noch so robust präsentiert und die Eurogruppe zugleich eine so schwache Vorlage liefert. Dies macht eine Rückweisung verbunden mit einer Aufforderung zur Fortsetzung der Diskussion und einer Wiedervorlage im Dezember einfach. —–Von Andreas HeitkerAuf dem EU-Gipfel wird es keinen großen Wurf für eine Reform der Eurozone geben. Die Vorlage der Eurogruppe hierfür ist einfach zu schwach.—–