Bürokratielasten

Vorschriftendickicht lässt Unternehmen verzweifeln

Von Bürokratieabbau keine Spur. Die von Unternehmen zu beachtenden Gesetze, Normen und Rechtsverordnungen nehmen zu, wie eine neue Auswertung zeigt. Das erhöht nicht nur die Bürokratiekosten, sondern auch das Risiko von Schadenersatzforderungen.

Vorschriftendickicht lässt Unternehmen verzweifeln

Immer mehr Gesetze und Verordnungen

Zahl der Rechtsvorschriften nimmt dramatisch zu und lässt Unternehmen verzweifeln – Rechtsrisiken durch DSGVO

lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt

Von Bürokratieabbau keine Spur. Die von Unternehmen zu beachtenden Gesetze, Normen und Rechtsverordnungen werden immer mehr, wie eine neue Auswertung zeigt. Obendrein nimmt ihre Komplexität zu. Das erhöht nicht nur die Bürokratiekosten, sondern auch das Risiko von Schadenersatzforderungen.

Die Bürokratiekosten nehmen den Unternehmen die Luft: Die rechtlichen Verpflichtungen kosten Zeit, benötigen zusätzliches Personal, verkomplizieren viele Arbeitsabläufe und erhöhen durch ihre Komplexität die juristischen Risiken, was unterm Strich die Produktionskosten erhöht. In einer aktuellen Umfrage bescheinigen Unternehmen dem DIHK, dass etwa die gesetzeskonforme Befolgung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nach wie vor einer der größten Bürokratietreiber überhaupt ist. Und eine Auswertung der Regelungsdichte in Deutschland, die der Presseagentur dpa vorliegt, hat zutage gebracht, dass die Zahl der bundesrechtlichen Gesetze und der Einzelnormen in den vergangenen zehn Jahren dramatisch gestiegen ist, was die Unternehmen immer stärker belastet.

2014 waren es danach noch 1.671 Gesetze mit 44.216 Einzelnormen. 2024 sind es schon 1.792 Gesetze mit insgesamt 52.155 Einzelnormen. Hinzu kommen noch die Rechtsverordnungen, mit denen die Exekutive die Details regelt. 2014 gab es laut Bundesregierung 2.720 bundesrechtliche Verordnungen mit 38.192 Einzelnormen. Zehn Jahre später bestanden die geltenden 2.854 Rechtsverordnungen des Bundes aus 44.272 Einzelnormen.

Steigende Risiken

Aber es ist nicht nur die schiere Zeit- und Kostenbelastung, die Unternehmen umtreibt, sondern auch die damit einhergehenden Risiken. In der DIHK-Umfrage beklagen die Firmenchefs, dass etwa im Hinblick auf die DSGVO ausländische Behörden weniger streng seien als deutsche. Und selbst innerhalb Deutschlands gebe es unterschiedliche Rechtsauffassungen. Das bremse die Digitalisierung und die Umstellung von Geschäftsprozessen. Sorgen machen sich die Unternehmen auch über mögliche Schadenersatzforderungen im Zuge eventueller unwissentlicher Rechtsverstöße. „Kollektivklagen durch das neue Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) erhöhen das Risiko für Schadenersatzforderungen, die kaum kalkulierbar sind“, klagt DIHK-Chefjustiziar Stephan Wernicke.

Hohe Bürokratielasten

Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums weist darauf hin, dass die Anzahl an Gesetzen nicht mit der Bürokratielast gleichgesetzt werden könne. Auch löse nicht jede Einzelnorm oder jedes Gesetz bürokratische Kosten aus. Auf die Frage, ob es für Handwerker, private Vermieter, ehrenamtlich Tätige und andere Menschen ohne juristische Vorbildung in Deutschland noch problemlos möglich sei, sich in jedem Fall gesetzeskonform zu verhalten, räumt die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sonja Eichwede, allerdings ein: „Wir haben in Deutschland eine ziemlich hohe Regelungsdichte.“ Es sei auch nicht gut, wenn man für zu viele Vorgänge eine Fachkraft oder einen Rechtsanwalt beauftragen müsse.

Zu viele bürokratische Auflagen und umfangreiche Berichtspflichten waren neben hohen Energiepreisen von Wirtschaftsverbänden zuletzt besonders häufig als Belastung genannt worden. Die von der Bundesregierung 2023 vorgeschlagenen Entlastungen, etwa kürzere Aufbewahrungspflichten für steuerlich relevante Belege, sowie die Möglichkeit, manches per E-Mail anstatt per Brief mit Unterschrift zu regeln, wurden zwar von ihnen begrüßt, insgesamt jedoch als nicht ausreichend kritisiert. Das von Justizminister Marco Buschmann kürzlich vorgelegte Bürokratie-Entlastungsgesetz dürfte im März vom Kabinett beschlossen werden. Und nach der One-in-One-out-Regel muss zwar für jede gesetzlich eingeführte Belastung der Wirtschaft eine mindestens gleich hohe Entlastung herbeigeführt werden, doch viele Ausnahmeregelungen nehmen ihr die Wucht.

Dass der Schuss auch nach hinten losgehen kann, hat zuletzt das Gesetz zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) gezeigt. In der ursprünglichen Fassung hat es Bund, Länder und Gemeinden eigentlich verpflichtet, bis spätestens Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten und diese miteinander zu einem Portalverbund zu verknüpfen. Es wurde bereits 2017 erlassen und ist seit 2020 in Kraft. Doch nun sollen digitale Verwaltungsverfahren erst 2029 angeboten werden müssen; und auch nur für jene, die der Bund bereitstellt. Nach Ansicht des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) verharrt Deutschland damit „im digitalen Stillstand“, wie BDI-Geschäftsführerin Iris Plöger kritisiert. Es mangele an Verbindlichkeit und Tempo. Dabei sei gerade die mangelnde Verwaltungsdigitalisierung derzeit ein Hemmschuh beim neuen Deutschlandtempo für die grüne und digitale Transformation.

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