NOTIERT IN WASHINGTON

Waffenbesitz gesetzlich vorgeschrieben

Nachdem er im Haushaltsstreit eine Niederlage einstecken musste und vergangenes Wochenende 85 Mrd. Dollar an Zwangseinsparungen in Kraft traten, will US-Präsident Barack Obama die politische Diskussion auf andere Schwerpunkte lenken. Im Vordergrund...

Waffenbesitz gesetzlich vorgeschrieben

Nachdem er im Haushaltsstreit eine Niederlage einstecken musste und vergangenes Wochenende 85 Mrd. Dollar an Zwangseinsparungen in Kraft traten, will US-Präsident Barack Obama die politische Diskussion auf andere Schwerpunkte lenken. Im Vordergrund steht die Debatte um schärfere Waffengesetze. Diese hat in den Monaten nach dem Massenmord an einer Grundschule in Newtown, Connecticut, neue Dringlichkeit bekommen. Im Mittelpunkt steht nicht nur das Tauziehen zwischen der mächtigen Waffenherstellerlobby National Rifle Association (NRA) und Anhängern schärferer Waffengesetze. Auch sorgt eine knapp 30 000 Einwohner zählende Stadt in Georgia für Schlagzeilen. Dort ist in jedem Haushalt mindestens eine geladene Schusswaffe zu finden. Nicht etwa, weil die Bürger Angst vor Verbrechern haben, sondern weil das Gesetz es vorschreibt.1982 nahmen gewaltsame Verbrechen fast überall in den USA zu. Der Stadtrat von Kennesaw wagte einen Alleingang und verabschiedete ein Gesetz, das jeden Haushalt verpflichtete, eine Waffe bereitzuhalten, die jederzeit geladen ist. Die Initiative löste amerikaweit Furore aus. Jeder noch so läppische Streit zwischen Nachbarn würde zu einem Revolverduell auf offener Straße führen, spotteten politisch Liberale, die das Städtchen im Nordwesten von Georgia “Gun Town USA” tauften.Eingetreten ist aber das Gegenteil. Tatsächlich ging die Zahl der Waffendelikte in Kennesaw kontinuierlich zurück. Kurz vor der Jahrtausendwende war die Kriminalitätsrate seit der Einführung der Waffenpflicht in den USA um 10 % gesunken, in Kennesaw dagegen um fast 90 %. 2007 feierte die Stadt dann ein Jubiläum, das vor allem auf der Chefetage der NRA mit Jubel quittiert wurde: Während der 25 Jahre seit der Verabschiedung der Schusswaffenpflicht hatte es in Gun Town USA keinen einzigen Mord gegeben. Ex-Bürgermeister Leonard Church glaubt, den Grund zu kennen. “Jeder, der auch nur daran denkt, ein Verbrechen zu begehen, weiß, dass sein Opfer sich wehren kann und wird”, sagt Church. “Ist der Kriminelle nicht lebensmüde, dann wird er sich zweimal überlegen, ob der Einbruch oder der Überfall das Risiko wirklich wert sind.”Argumente wie diese und Statistiken wie aus Kennesaw sind natürlich Wasser auf die Mühlen der NRA. Kein Wunder, dass Wayne LaPierre, Vorstandschef der mächtigen Lobbyistenorganisation, das 30 Jahre alte Gesetz als Paradebeispiel dafür anführt, warum es völlig unnötig sei, die Waffengesetze in den USA zu verschärfen. Denn nach dem Massaker in Newtown, bei dem vergangenen Dezember 26 Menschen ums Leben kamen, darunter 22 Kinder, wuchs in den Medien der Druck auf die Politiker in Kennesaw, ihre Waffenpflicht wieder aufzuheben. Doch nicht einmal die herzzerreißende Tragödie ließ die Bürger des konservativen Südstaats an ihrem Gesetz zweifeln, im Gegenteil. “Mein aufrichtiges Beileid gilt den Opfern dieses schlimmen Massenmords”, sagt Church. “Tatsache ist aber, dass es bei uns nicht passiert wäre, denn die Lehrer hätten zurückgeschossen.” Es sind Argumente wie diese, die LaPierres Augen aufleuchten lassen. Schließlich agiert die NRA seit dem Amoklauf an der Grundschule in Connecticut aus der Defensive und tut sich schwer, die amerikanische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Waffengesetze nicht verschärft, sondern eher gelockert werden sollten.Dass keines der tödlichen Massaker, die während der vergangenen Jahre die USA in tiefe Trauer stürzten, die Bürger von Kennesaw zum Umdenken bewegen konnte, hat mehrere Gründe. Eine entscheidende Rolle spielte eben die rückläufige Kriminalitätsrate. Diese führte wiederum dazu, dass seit 1982 die Bevölkerung von 5 000 bis heute auf das Sechsfache stieg. 2007 kürte sogar die Familienzeitschrift “Family Circle” Kennesaw zu einer der zehn US-Städte mit der höchsten Lebensqualität. Deutlich kritischer sind Befürworter schärferer Waffenkontrollen. “Eine Kleinstadt sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass mehr Waffen mehr Menschenleben fordern”, glaubt Colin Goddard vom “Brady Campaign to Prevent Gun Violence”. Die politische Debatte tobt weiter, und Kennesaw aalt sich ein weiteres Mal im Rampenlicht.