Warten auf den Bürgermeister
Diese Woche konstituieren sich in Spanien die neuen Regionalparlamente, und die Mannschaften der Rathäuser, die aus den Wahlen vom 24. Mai hervorgegangen sind, formieren sich. Seit Tagen werden die Schlagzeilen von den zahlreichen Verhandlungen beherrscht, bei denen sich zwei, drei oder noch mehr Parteien über einen Regierungspakt einig werden müssen. Die Zeit der einfarbigen Lokalverwaltungen mit absoluter Mehrheit ist vorbei, seit mit der Linkspartei Podemos und der liberalen Ciudadanos zwei neue politische Kräfte auf den Plan getreten sind.Im Gegensatz zum Kuhhandel um komplizierte Allianzen und Konstellationen in der Politik war es in den Wirtschaftsteilen der hiesigen Presse seit dem Wahlkampf ziemlich ruhig. Es wurden kaum nennenswerte Deals oder Entscheidungen bekannt gegeben. Es scheint ganz so, als wollten Vorstände und Unternehmer erst einmal abwarten, bis sich der vom Wähler aufgewirbelte Staub legt und ein klares Bild der Lage erkennbar ist. Der Ibex 35 ist seit dem Urnengang abgerutscht, was einige konservative Stimmen dem Vormarsch linker Gruppierungen wie Podemos zuschieben. Jedoch hat die jüngste Entwicklung am Aktienmarkt, wie an anderen europäischen Plätzen, wohl eher mit Griechenland zu tun als mit dem absehbaren Machtwechsel in vielen spanischen Rathäusern. Es hat nicht an warnenden Stimmen aus der Wirtschaft gemangelt, die das Ende des Booms herbeireden, wenn die Linken vielerorts die Bürgermeister stellen. Dabei handelte es sich jedoch meist um Verbandsfunktionäre, Medienkommentatoren oder liberale Volkswirte. Die Konzernchefs selbst schweigen lieber. Man will es sich ja mit niemandem unnötig verscherzen. Die Vergabe öffentlicher Aufträge in Gemeinden und Regionen macht für viele Unternehmen einen Großteil des Geschäfts aus.Die meiste Aufmerksamkeit erhalten dieser Tage die zwei größten Metropolen des Landes. In Madrid und in Barcelona läuft alles darauf hinaus, dass zwei eigens für die Kommunalwahl mit Unterstützung von Podemos gegründete Bürgerplattformen das Rathaus übernehmen werden, wenn sie sich mit anderen Parteien einigen können. Neben dem Kampf gegen die Korruption und der notwendigen Entfilzung der Institutionen wollen Ahora Madrid und Barcelona en Comú Maßnahmen treffen, um die sozialen Folgen der Wirtschaftskrise und der Haushaltskürzungen für die Schwächsten der Gesellschaft abzufedern. In der spanischen Hauptstadt hat sich die Anwärterin auf das Bürgermeisteramt, die pensionierte Richterin und langjährige Menschenrechtsaktivistin Manuela Carmena, schon mit dem Vorstandsvorsitzenden der verstaatlichten Bankia, José Ignacio Goirigolzarri, getroffen. Ziel des Gesprächs war, dass die Bank, die für 23 Mrd. Euro vom Staat gerettet werden musste, Zwangsräumungen der Erstwohnung von zahlungsunfähigen Hypothekenkunden einstellt. Wie andernorts plant auch Carmena, dass die Banken dazu gezwungen werden sollen, Teile ihrer leerstehenden Immobilien für Sozialwohnungen zur Verfügung zu stellen. Ada Colau, die sich anschickt, Bürgermeisterin von Barcelona zu werden, verdankt ihre Popularität der Zeit als Anführerin einer Bewegung gegen die Zwangsräumungen. Sie hat die katalanische Tourismusbranche aufgeschreckt mit der Absicht, in Barcelona ein Moratorium für neue Hotels zu verordnen, da die Stadt wegen des Ansturms von Besuchern aus allen Nähten platzt.Bei den für November erwarteten Parlamentswahlen bangen die Konservativen von Ministerpräsident Mariano Rajoy nun ebenfalls um die Mehrheit. Vielleicht in Vorahnung eines Machtwechsels hat die Europäische Kommission offenbar den Druck auf Madrid erhöht, damit die beiden noch in staatlicher Hand befindlichen Banken zügig privatisiert werden. Die Regierung plant nun, den Börsengang der kleineren BMN noch vor den Wahlen einzufädeln. Die Entscheidung über die Privatisierung von Bankia, an der der Staat noch 62 % hält, wird jedoch wohl der zukünftigen Regierung zufallen. Der Aktienkurs liegt derzeit weit unter den 1,51 Euro, zu denen vor einem Jahr eine erste Tranche an den Markt gebracht wurde. Und Bankia unter Preis zu verscherbeln, kann Rajoy dem Wähler wohl kaum verkaufen.