Warum der Bahnstreik inzwischen rechtswidrig ist
Der Streik der Gewerkschaft GDL im Tarifstreit mit der Deutschen Bahn und die jüngsten arbeitsrechtlichen Entscheidungen in diesem Zusammenhang lassen die Frage aufkommen, wann Streiks nicht mehr angemessen sind und wann die streikende Gewerkschaft zum Ersatz der Schäden verpflichtet werden kann, die ihr Handeln bei unbeteiligten dritten Unternehmen verursacht.
Die GDL will ihren Streik sowohl in zeitlicher als auch in qualitativer Hinsicht erheblich ausweiten. Dabei werden Personen- und Güterverkehr ohne vorherige Ankündigung als sogenannte Wellenstreiks durchgeführt. Beim Wellenstreik legen kleine Gruppen von Arbeitnehmern überraschend und ohne Vorankündigung ihre Arbeit nieder, um sie ebenso überraschend wieder aufzunehmen. Die bislang erfolgte Vorankündigung mit mehr als 48 Stunden Vorlauf fällt weg. Damit wird der Bahn die Gelegenheit genommen, Notfallpläne aufzustellen und für die Aufrechterhaltung zumindest eines Minimalfahrplanes zu sorgen. Zudem werden so die Auswirkungen auf Unternehmen und reisende Personen noch einmal erheblich verschärft.
Das Bundesarbeitsgericht hat in Bezug auf derartige Wellenstreiks entschieden, dass die streikenden Arbeitnehmer dann das Entgeltrisiko selbst tragen, wenn sie durch Notfallmaßnahmen des Arbeitgebers nach Ende ihrer Arbeitsniederlegung bis zum Ablauf ihrer Schicht nicht mehr beschäftigt werden können. Da die Gewerkschaft angekündigt hat, derartige Maßnahmen ohne vorherige Mitteilung zu beginnen und zu beenden, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass hier streikende Arbeitnehmer Lohnausfälle erleiden werden. Augenscheinlich nimmt dies die GDL billigend in Kauf.
Zulässige Maßnahme im Arbeitskampf
Was dabei zunächst festzuhalten ist, ist jedoch, dass auch Wellenstreiks grundsätzlich eine zulässige Maßnahme im Arbeitskampf darstellen und damit nicht per se als rechtswidrig anzusehen sind. Was gleichwohl stets zu prüfen sein wird, ist, ob derartige Maßnahmen noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Denn durch Wellenstreiks entstehen für die Bevölkerung und die Wirtschaft erhebliche Einschränkungen. Dies steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts, nach der durch Streiks keine offensichtliche Verletzung des Gemeinwohls eintreten darf.
Schäden schießen exponentiell nach oben
In der Vergangenheit war durch die Ankündigung von Streikmaßnahmen durch die Gewerkschaft sichergestellt, dass eine Notdienstvereinbarung und entsprechende Planungen möglich waren. Eine Notdienstvereinbarung ist zwar keine grundsätzliche Voraussetzung für einen rechtmäßigen Streik. Wenn jedoch Notdienste nicht mehr geleistet werden können, weil keine vorherige Ankündigung erfolgt, so ist der Eingriff nach Stärke und Qualität erheblich gravierender als bei einer zumindest kurzfristigen Ankündigung. Im Bereich des Gesundheitswesens wären derartige unangekündigte Streikmaßnahmen bei lebensnotwendigen Dienstleistungen bereits unverhältnismäßig. In einem solchen Fall könnte ein Arbeitsgericht eine Notfallversorgung anordnen und bei Nichterfüllung empfindliche Geldbußen verhängen.
Nun handelt es sich aber beim öffentlichen Personen- und Güterverkehr nicht um lebensnotwendige Dienstleistungen. Jedoch gehen die durch den Streik entstehenden Schäden exponentiell in die Höhe und stehen in keinem Verhältnis zu der Art und Weise, wie seitens der Gewerkschaft in dieser Tarifauseinandersetzung agiert wird. Zwar steht der Gewerkschaft grundsätzlich in jedem Stadium von Tarifverhandlungen ein Streikrecht zu, jedoch hat sie selbst den Verhandlungstisch verlassen, ohne von ihrer ursprünglichen Position auch nur ansatzweise abzurücken. Das Wesen von Tarifverhandlungen und Arbeitskampf kann aber nicht darin bestehen, lediglich Maximalpositionen zu wiederholen und Arbeitskampfmaßnahmen zu verschärfen. Beide Verhandlungspartner sind aufgrund ihrer systemischen Position verpflichtet, ihre unterschiedlichen Positionen einander anzunähern. Dies setzt grundsätzlich die Bereitschaft voraus, von Maximalpositionen abzurücken.
Egozentrische Verhandlungsführung
Die Akzeptanz von Arbeitskampfmaßnahmen im Allgemeinen wird durch die egozentrische Verhandlungsführung seitens der Gewerkschaft mittlerweile so stark geschädigt, dass in wachsenden Teilen der Bevölkerung das Streikrecht dem Grunde nach infrage gestellt wird. Umso mehr sollte die Verhandlungsführung der Arbeitskampfparteien in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einbezogen werden. Auch wenn der Gewerkschaft ein weiter Spielraum bei der Auswahl der Arbeitskampfmittel zuzubilligen ist, so muss je nach Schwere der dadurch eintretenden Folgen abgewogen werden, ob im konkreten Einzelfall eine Verhältnismäßigkeit der Streikmaßnahme noch gegeben ist.
In der derzeitigen gesamtwirtschaftlichen Lage wird durch die angekündigten Wellenstreiks ein noch nie da gewesener wirtschaftlicher Schaden bei Betroffenen und Nichtbetroffenen eintreten. Auch wenn eine Verhältnismäßigkeitsprüfung immer eine Abwägung mit dem hohen, grundgesetzlich geschützten Streikrecht beinhaltet, ist angesichts des zu erwartenden wirtschaftlichen Schadens aus meiner Sicht der Punkt erreicht, dass aus der Kombination von Kompromisslosigkeit und Selbstzweck mit dem Beharren auf Maximalpositionen eine Unverhältnismäßigkeit zwingend festzustellen ist.
Schadenersatzpflicht der GDL
Wenn dadurch die angekündigten Wellenstreiks als rechtswidrig eingestuft werden könnten, wäre die Gewerkschaft verpflichtet, die den betroffenen Unternehmen entstandenen Schäden zu ersetzen. Sie kann sich dabei nicht darauf berufen, in einer unklaren Rechtslage zu agieren und einem Rechtsirrtum unterlegen zu haben. Ein derartiger Verbotsirrtum ist ausgeschlossen, wenn der oder die Handelnden erkennbare Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens in Kauf genommen haben. Zusätzlich würden auch die an einem rechtswidrigen Streik beteiligten Arbeitnehmer für die entstandenen Schäden haften, auch wenn dieser von der Gewerkschaft initiiert und geführt wurde.
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