Warum Geld auch mal stinken darf
Wer erinnert sich noch an die parteiübergreifende Empörung im Lande, als vor einem Monat drei US-Senatoren den Betreibern des Fährhafens Sassnitz auf Rügen mit “finanzieller Vernichtung” drohten, falls der kurz vor Fertigstellung stehende Bau der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 nicht gestoppt werde? “Extraterritoriale Sanktionen lehnen wir klar ab”, wies Bundesaußenminister Heiko Maaß die Parteifreunde des US-Präsidenten Donald Trump in die Schranken. Eine ähnliche Erregung, ebenfalls parteiübergreifend, erfasst gegenwärtig das Land, weil der Kreml möglicherweise hinter dem Nervengiftanschlag auf den Regimekritiker Alexej Nawalny steckt und man deshalb zur Strafe kein Erdgas aus Russland über Nord Stream 2 beziehen sollte. Sind jetzt extraterritoriale wirtschaftliche Sanktionen für intraterritoriale politische Verbrechen das angemessene Mittel? Politische PipelineJe näher die Fertigstellung der Pipeline rückt und damit der Return on Investment für den halbstaatlichen Gaslieferanten Gazprom und dessen Partner, desto beliebter die Drohung mit einem Baustopp oder Moratorium. Wenn erst einmal die noch fehlenden 160 Kilometer der 2 460 Kilometer langen Pipeline verlegt sind und das Gas durch die Röhre fließt, wäre Nord Stream 2 als politisches Druckmittel weniger wirkungsvoll. Denn die Leidtragenden wären dann nicht mehr nur Regierungen und Konzerne, sondern zig Millionen von Gaskunden in ganz Europa und das auf Deviseneinnahmen angewiesene Russland.Jenseits der Frage, ob es politisch klug war, die medizinische Hilfe in Deutschland für einen komatösen russischen Oppositionellen vor den Augen der Weltöffentlichkeit medienwirksam zu inszenieren und den Vergiftungsbefund durch ein Bundeswehrkrankenhaus ermitteln zu lassen, stellt sich die politische Klasse Deutschlands ein Armutszeugnis aus, wenn ihr bei politischen Auseinandersetzungen mit dem Kreml nichts Besseres einfällt, als immer wieder die Nord-Stream-2-Drohungen auszupacken. Dass es sich bei dem Pipelineprojekt durch die Ostsee um ein politisches Projekt handeln würde, bei dem ein langer Atem und Verlässlichkeit erforderlich sein würden, war von Beginn an klar und für jedermann ersichtlich: nach ersten Überlegungen zum Bau einer Ostseepipeline im Jahr 1995 dann 2005 besiegelt in Anwesenheit des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der erste Strang eingeweiht 2011 von Bundeskanzlerin Angela Merkel und vom damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew. Zwar wurden Gazprom-Chef Alexej Miller und seine Vorstandskollegen von BASF/Wintershall, Eon/Uniper, OMV, Shell und Engie beim Heraufziehen eines politischen Tiefdruckgebietes zwischen Westeuropa und Russland nicht müde, die Ostseeröhre als ein rein kommerzielles Vorhaben zu preisen. Doch die Geschichte, die Besetzung der entscheidenden Gremien wie auch die staatlich orchestrierte Finanzierung haben nie einen Zweifel am politischen Charakter des Vorhabens gelassen. Ein Baustopp schadete allenUnd trotzdem eignet sich Nord Stream 2 nicht, um politische Exempel zu statuieren – so sehr sich manche danach sehnen mögen und nur darauf warten, Putin endlich für seine wiederholten Grenzüberschreitungen und Verbrechen zu bestrafen. Nicht nur, weil den Schaden eines Baustopps alle hätten. Denn die Hälfte der 10 Mrd. Euro teuren Gasleitung wird von den fünf westlichen Partnern finanziert. Und die Verbraucher in Europa werden aus Gründen der Versorgungssicherheit und des Preiswettbewerbs auf das Gas aus Nord Stream 2 angewiesen sein. Ein Baustopp wäre vor allem deshalb unklug, weil der wirtschaftliche Interessengleichklang der Beteiligten auch eine Grundlage für ein friedliches politisches Miteinander sein kann. Überall dort, wo keine wirtschaftlichen Abhängigkeiten existieren, sind die Hürden für eine politische Eskalation viel niedriger. Selbst die Politik von US-Präsident Donald Trump, bekanntermaßen nicht zimperlich, wenn es um die eigenen nationalen Interessen und das Verhängen von Sanktionen geht, spiegelt diese Grundregel. Wo gehandelt wird, wird nicht geschossen. Abhängigkeit und EinflussDas heißt nicht, dass Deutschland und die Europäische Union in einer Art vorauseilendem Gehorsam Verstöße Russlands gegen Völkerrecht und Menschenrechte nicht mehr kritisieren oder nicht politisch und unter Umständen auch gezielt wirtschaftlich sanktionieren sollten. Doch wer sich die Chance erhalten will, auf Russland und Putins Regime Einfluss nehmen zu können, sollte nicht die große Keule schwingen und das Pipelineprojekt stoppen, sondern es zügig abschließen. Damit erhöhte sich die Abhängigkeit Russlands vom Westen und somit die Chance politischen Einflusses. Der Grundsatz “Wandel durch Handel” ist sicher in der Vergangenheit überstrapaziert worden. Ein autokratisches staatskapitalistisches System wird dadurch nicht zu einer demokratischen marktwirtschaftlichen Ordnung. Aber im Tagesgeschäft incentivieren Handel und damit Win-win-Situationen die Einhaltung von Regeln und friedliches Miteinander. Geschmacksfragen”Pecunia non olet” – diese Devise gab es im antiken Rom, und sie ist auch Grundlage in den ökonomischen Modellen und Lehrbüchern. Wirtschaftsbeziehungen und Geldflüsse zwischen Ländern aber haben immer eine politische Dimension, sie sind mal wohl- und mal übelriechend. Gerüche werden freilich nicht nur unterschiedlich intensiv wahrgenommen, auch die Grenze zwischen wohl- und übelriechend wird nicht überall und von jedem gleich empfunden. Jedenfalls ist es allemal besser, über stinkendes Geld die Nase rümpfen und gegen den üblen Geruch vorgehen zu können, als wenn erst gar kein Geld (und Gas) fließt. – c.doering@boersen-zeitung.de——Von Claus DöringNord Stream 2 eignet sich nicht für politische Exempel. Ein Baustopp schadete allen Beteiligten und würde den Einfluss des Westens schmälern. ——