Was hätte Europa eigentlich ohne Putin getan?
Gäbe es Wladimir Putin nicht, man müsste ihn glatt erfinden. Im Interesse Europas nämlich. Kein Zweiter, hat er uns im Lauf der Jahre doch so unverblümt auf unsere Schwächen hingewiesen. Nicht, weil er das wollte. Und schon gar nicht, weil er selbst so toll wäre, wie er wahrscheinlich glaubt. Aber weil er so dreist ist, jede kleine Ritze im Gefüge seines Gegenübers auszunutzen, um es zu sprengen. Wenn er seinem Gegner damit schaden kann, wunderbar. Wenn er wirtschaftlich auch noch gewinnt, umso besser. Die Schwäche des Gegners auszunützen gilt im Kreml nämlich – wie im Kampfsport – nicht als Untugend. Und Kampfsport hat Putin schließlich gelernt.Dass die EU sein Gegner ist, hat Putin ohnehin nie ganz verhehlen können. Nicht die einzelnen EU-Staaten wohlgemerkt. Mit ihnen nämlich kann er je nach politischer Besetzung bestens umgehen. Aber die EU als Ganzes war ihm immer ein Dorn im Auge. Denn nur eine geschlossene EU ist stark genug, um ihm die Stirn zu bieten.Aber wie sehr wir Putins aktuelle Versuche, die EU nun über Griechenland zu spalten, auch fürchten: Festzuhalten gilt, dass ähnliche Versuche in den vergangenen Jahren nicht von Erfolg gekrönt waren. Sogar das Gegenteil war zu beobachten: Je mehr Putin seinen europäischen Gegner schwächen wollte, umso mehr hat er ihn gestärkt.Am deutlichsten sichtbar ist dies auf dem Gassektor. Dort etwa hat sich Moskau mit dem Versuch, eine einheitliche und damit für Russland nachteilige EU-Energiepolitik zu verhindern, indem man einzelne Länder mit Vorteilen lockt, selbst ins Knie geschossen. Und das Unterfangen, angesichts der Gasdiversifikationsprojekte der Ukraine die Belieferung Kiews mit Gas aus Europa zu verhindern, hat dem Gaskonzern Gazprom am Ende nichts außer Milliardenverluste beschert. Die Ukraine wird nun mehr denn je aus dem Westen über Reverse Flow mit Gas versorgt.Man muss Putin deshalb nicht zum hehren und konstruktiven Oppositionellen der EU-Politik hochstilisieren. Aber da er im Westen nach der kommunistischen Diktatur nun ohnehin als neuer russischer Gottseibeiuns geführt wird, kann man in Abwandlung von Goethes “Faust” immerhin sagen: “Er ist ein Teil von jener Kraft, die oft anscheinend Böses will und dabei ab und an auch Gutes schafft.”Allemal ist bezeichnend, dass Gazprom, der verlängerte Arm russischer Außenpolitik, just in letzter Zeit den weiteren Rückzug aus Europa bestätigt hat: Gazprom steigt beim deutschen Versorger VNG aus, der Tausch von Vermögenswerten mit Wintershall ist geplatzt, das Pipeline-Projekt South Stream ebenso. Gewiss, die einzelnen Ereignisse müssen nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben, wie Russlands Energieminister Alexandr Nowak im Interview der Börsen-Zeitung sagte. Aber die Anzahl der Ereignisse springt ins Auge. *Der Rückzug muss Europa nicht gleich freuen. Faktum jedenfalls – und das sehen wir an Moskaus Griechenland-Flirt – ist, dass Moskau sich gezwungen sieht, seine keiltreibenden Aktivitäten vom Zentrum an den Südostrand der EU zu verlagern. Das kommt einem Verzweiflungsakt nahe, dass die zunehmende Geschlossenheit der EU – gerade auch bei den Sanktionen – mehr denn je am eigenen Leib spürt.Dass die EU Griechenland schon vor zwei Wochen anlässlich des Moskaubesuchs des griechischen Premierministers Alexis Tsipras vor einem Ausscheren aus der Sanktionspolitik gewarnt hat, ist recht und billig. Im Übrigen aber könnte man gelassener sein, wie auch der Russland-Beauftragte der deutschen Regierung, Gernot Erler, meinte. Und was ein milliardenschweres Energieabkommen Griechenlands mit Russland betrifft, das Gazprom-Chef Alexej Miller in Athen verhandelte, so hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein solches zuletzt sogar begrüßt: “Alles, was Griechenland hilft, ist gut”, so Schäuble.Seltsam, dass der ukrainische Wirtschaftsminister Aivaras Abromavicius am lautesten von einer Enttäuschung sprach, weil Athen sich ökonomische Vorteile in Moskau herausschlagen wolle. Niemand nämlich hat all die Jahre die Hand in Richtung Moskau weiter aufgehalten als Kiew. Anfang April hatte man erst neue Rabatte ausgehandelt.