Was Schweizer Konzerne im Ausland verantworten sollen
Von Daniel Zulauf, ZürichAm 29. November stimmen die Schweizerinnen und Schweizer über die Volksinitiative “Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt” ab. Auf allen Kanälen läuft seit Monaten ein heißer Abstimmungskampf. Optisch fällt landauf, landab vor allem das in orangener Farbe gehaltene Display-Material der Befürworter auf. Sie zeigen sich in der Öffentlichkeit, indem sie zum Beispiel dreieckige Fähnchen an ihre Fahrräder montieren.Die Präsenz der mobilen Werbebotschafter macht vor allem in den Städten die große Popularität der Initiative sichtbar. Auch an vielen Balkongeländern prangt die orange Flagge mit der Aufschrift “Konzernverantwortungsinitiative Ja!”. Und “Konzernverantwortung” ist der Begriff, mit dem die Initiatoren ihr Anliegen in der breiten Bevölkerung bekannt gemacht haben. Damit befinden wir uns bereits mitten in der aufgeladenen Diskussion, in der beide Seiten die Fakten strapazieren.Zielt die Initiative tatsächlich nur auf einige wenige “schwarze Schafe” in der Schweizer Unternehmenslandschaft, die sich über eigene Tochterfirmen oder über indirekt beherrschte Lieferanten im Ausland die Verletzung international anerkannter Standards zum Schutz von Mensch und Umwelt (UNO/ILO) zu Schulden kommen lassen? So möchten jedenfalls wichtige Exponenten wie der Zürcher Rechtsprofessor und sozialdemokratische Parlamentsabgeordnete Daniel Jositsch ihren Vorstoß verstanden wissen. “Lex Glencore”Durchaus mit Kalkül sprechen die Initiatoren und Sympathisanten denn auch von einem “Lex Glencore”, einem Gesetz, das scheinbar ganz exakt auf den gleichnamigen Rohstoffkonzern mit Sitz im idyllisch gelegenen Schweizer Voralpenkanton Zug zugeschnitten ist. Glencore ist schon seit langer Zeit das Feindbild vieler NGOs, die dem in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern tätigen Bergbaukonzern ein ruchloses Geschäftsgebaren vorwerfen. Im Zug der jüngsten Häufung strafbehördlicher Untersuchungen, die Korruptionsvorwürfen im Kongo, in Venezuela oder auch in Nigeria nachgehen, ist die Zielscheibe Glencore noch ein gutes Stück größer geworden.Doch die Rohstoffbranche ist in der Schweiz verankert. Sie profitiert von guten Standortbedingungen, die nicht nur auf tiefen Steuern beruhen, sondern auch eine zuvorkommende Behandlung von Behörden und Politik einschließen. Es kann auch sein, dass Firmen wie Glencore tatsächlich besser sind als ihr Ruf. Schließlich operieren sie vielfach ohne Rechtssicherheit in wirtschaftlich desolaten und politisch überaus instabilen Zonen. Ein Fakt ist dennoch, dass Rohstofffirmen auch in der Schweiz politisch immer weniger Kredit erhalten. Das wissen jedoch selbstredend auch die Gegner der Konzernverantwortungsinitiative. Selten ergreifen sie im Abstimmungskampf direkt Partei für die reputationsmäßig angezählte Branche. Stattdessen betonen die großen Wirtschaftsdachverbände den nach ihrer Interpretation völlig überzogenen Geltungsbereich der Initiative. Gemäß einer von der Gegnerschaft selbst in Auftrag gegebenen Studie zwinge diese potenziell bis zu 80 000 Unternehmen, die meisten davon kleine und mittelgroße (KMUs), dazu, sich gegen mögliche Haftungsklagen aus dem Ausland zu wappnen.Den Unternehmen gefährlich werden könnten solche Klagen mindestens theoretisch, wenn sie bei ihren ausländischen Tochterfirmen oder bei Lieferanten, die sie aufgrund von Abnahmeverträgen de facto kontrollieren, die von der Initiative verlangte Sorgfaltsprüfung vernachlässigt oder gar unterlassen haben. Es versteht sich von selbst, dass solche Prüfungen mit erheblichen Kosten verbunden sein können.Freilich kennen auch die Initiatoren die grundsätzlich wirtschaftsfreundliche Einstellung der Schweizer Bevölkerung. Diese will den vielen fleißigen KMU-Gesellschaften im Land keine Knüppel zwischen die Beine werfen, zumal viele im Export tätige Kleinfirmen schon genug mit dem teuren Franken zu kämpfen haben. Deshalb heißt es auch im Text der Initiative, ein künftiges Gesetz habe auf die Bedürfnisse der KMU Rücksicht zu nehmen. Die Initiatoren könnten sich nach eigenem Bekunden auch einen generellen Haftungsausschluss für KMU außerhalb bestimmter Risikobranchen vorstellen. Derlei Zusicherungen stellen die Gegner aber nicht zufrieden, obschon sie in einem Gesetzgebungsprozess auf das Augenmaß eines bürgerlich dominierten Parlamentes zählen könnten. Schließlich hat dieses Parlament auch einen Gegenvorschlag abgesegnet, den die Initiatoren als reine “Alibiübung” qualifizieren. Gegenvorschlag ohne HaftungDer von der Landesregierung (Bundesrat) lancierte Gegenvorschlag verlangt, dass die Unternehmen jährlich über Menschenrechte und Umwelt berichten müssen oder mindestens erklären können, weshalb sie dies nicht tun. Ausgewählte Firmen sollen zudem eine Sorgfaltsprüfung in den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien durchführen. Nicht vorgesehen im Gegenvorschlag ist aber die von der Initiative anvisierte, weltweit geltende Konzernhaftung, die auch für rechtlich selbständige Drittfirmen oder abhängige Lieferanten gilt und somit das Prinzip einer juristisch geteilten Verantwortlichkeit innerhalb von Unternehmensgruppen aushebelt.Die Schweizer Justizministerin Karin Keller-Sutter sagt, die Haftung für Dritte widerspreche der liberalen Rechtstradition der Schweiz und sie sei in der von der Initiative vorgesehenen Form weltweit einmalig. Angesprochen auf die ungenügende Gewaltentrennung in manchen rohstoffreichen Ländern Afrikas sagt sie: “Es ist anmaßend zu sagen, die Rechtsordnung dieser Länder genüge unseren Maßstäben nicht, darum wenden wir jetzt unsere an.” Wirtschaft in Sorge vor TrendWas die Magistratin aber wirklich verhindern will, ist ein wirtschaftspolitisches Vorpreschen der Schweiz in einer Welt, in der es kleinen, erfolgreichen Ländern künftig schwerer fallen könnte, ihre ökonomischen Interessen zu vertreten und zu verteidigen. Die jüngsten Meinungsumfragen sagen der Initiative einen Sieg voraus.Sechs Jahre nach dem spektakulären Sieg der Volksinitiative gegen die Abzockerei in den Chefetagen wittern manche Beobachter aus der Wirtschaft bereits einen gefährlichen Trend. Einer bekannte unlängst in einer Zeitungsspalte, er habe Angst, dass sich die Schweiz zu einem “idealistischen Freilichtmuseum” entwickle. Von dieser Vision ist das Land trotz der derzeitigen orangen Welle aber noch weit entfernt. Schließlich hat selbst Glencore bislang keine Anstalten gemacht, das Domizil zu wechseln.