Was von der Cola übrig blieb
Von Andreas Hippin, LondonDas britische Schatzamt geht davon aus, dass die neu eingeführte Steuer auf Süßgetränke weniger Einnahmen bringen wird als erwartet. Wie das Ministerium mitteilt, dürfte sie jährlich 240 Mill. Pfund in die Staatskasse spülen – das ist weniger als die Hälfte der 520 Mill. Pfund, mit denen der ehemalige Schatzkanzler George Osborne noch vor zwei Jahren gerechnet hatte. Dies liegt unter anderem an der Reaktion der Hersteller: Mehr als die Hälfte der Firmen reduzierte den Zuckergehalt ihrer Produkte. Alles in allem werden dadurch dem Schatzamt zufolge pro Jahr 45 Mill. kg weniger Zucker verwendet. Zumindest in dieser Hinsicht “funktioniert” die Abgabe also, die mit dem Kampf gegen die Fettleibigkeit begründet wurde. Allein in England sind ein Drittel aller Kinder übergewichtig oder fettleibig, wenn sie die Grundschule verlassen. Und wer im frühen Teenageralter adipös war, bleibt es den von der Regierung herangezogenen Studien zufolge in vier Fünftel der Fälle auch im Erwachsenenalter. Mit den zusätzlichen Einnahmen sollen Maßnahmen finanziert werden, die Kinder fitter machen; Sportanlagen in Schulen etwa. Das Prinzip: Wenn einem Erfrischungsgetränk pro 100 ml zwischen fünf und acht Gramm Zucker zugesetzt wurden, werden 18 Pence je Liter fällig. Sind es acht Gramm oder mehr, müssen von den Unternehmen 24 Pence je Liter an den Fiskus abgeführt werden. Einkommensschwache werden durch Steuern dieser Art stärker belastet als andere Bevölkerungsgruppen. Daten des Statistikamts ONS zufolge muss das nach Einkommen unterste Zehntel der Haushalte insgesamt 34 % seines verfügbaren Einkommens für indirekte Steuern aufbringen. Darin enthalten sind 2,9 % für Tabaksteuer und 2,0 % für Alkoholsteuer. Beim obersten Zehntel belaufen sich die indirekten Steuern zusammengerechnet auf 14 % des verfügbaren Einkommens, die Tabaksteuer auf 0,1 %, die Alkoholsteuer auf 0,9 %. Den wohlhabenden Vorkämpfern für die Volksgesundheit mag das nur recht sein, sind es doch in der Regel gerade die “Bildungsfernen”, sprich die Unterschicht, die auf Starkoch Jamie Olivers Rezepte pfeifen und den Nachwuchs mit Cola abfüllen. Die Annahme der Attraktiven und Erfolgreichen, dass diejenigen, die sich ein Produkt am wenigsten leisten können, bei steigenden Preisen am ehesten darauf verzichten werden, entspricht jedoch nicht der Lebenswirklichkeit. Alles GeschmackssacheWäre die Erschwinglichkeit der entscheidende Faktor für den Kauf, müssten die Armen vor Gesundheit nur so strotzen. Stattdessen rauchen und trinken sie einfach weiter und beklagen sich, dass sich der Geschmack des von ihnen so geliebten Blubberwassers durch die Süßstoffe, die den Zucker ersetzt haben, geändert hat. Was von der Cola übrig blieb, will nicht mehr jeder trinken. Kein Wunder, dass Coca-Cola eine Klassikversion der braunen Brause beibehalten hat, für die man eben ein bisschen tiefer in die Tasche greifen muss und wohl auch wird. In Mexiko hat sich am Konsum von Süßgetränken nach Einführung einer entsprechenden Steuer 2014 nicht viel geändert. Er stieg Daten des Instituto Nacional de Salud Pública sogar von 160 Litern pro Jahr und Kopf in den Jahren 2007 bis 2013 auf 162 im Jahr 2014. Im Folgejahr lag er bei 161 Litern. Im kalifornischen Berkeley wurde 2014 nach einem Referendum eine Süßgetränkeabgabe eingeführt. Sie führte zu einem deutlichen Absatzrückgang der entsprechenden Produkte. Der Durst auf Süßes ließ jedoch nicht etwa nach: Im von der Steuer verschont gebliebenen Umland der Universitätsstadt wurde plötzlich viel mehr Brause verkauft. Erfolge sehen anders aus.Wenn immer mehr Firmen Zucker durch Süßstoffe ersetzen, ist das auch nicht unbedingt gesundheitsförderlich. Zudem wechseln auch in der Ernährungswissenschaft die Moden. Cholesterin ist heute nicht mehr das todbringende Gift, als das es einmal verschrien war. Mal sehen, wie der “War on Sugar” endet.