Weichenstellung für die Zukunft
“Die Masken fallen”, titelt die französische Regionalzeitung “Sud Ouest” aus Bordeaux. Denn die nach der Ausgangssperre wiedergewonnene Freiheit und weitere Lockerungen führen in der von der Covid-19-Pandemie relativ verschonten südwestfranzösischen Region Nouvelle-Aquitaine dazu, dass zahlreiche Einwohner den Sommer in vollen Zügen genießen und dabei ganz ihre Masken vergessen. Dasselbe Phänomen war an diesem Sonntag auch während der seit 1982 jährlich am 21. Juni stattfindenden Fete de la musique zu beobachten.Obwohl das neue Coronavirus noch immer im Umlauf ist, lauschten oder tanzten vor allem in Paris Tausende zu den Klängen, ohne sich um Sicherheitsabstände und Maskenpflicht zu kümmern. Friedfertig und ohne Krawall. Und doch griff die Polizei am Canal Saint-Martin ein und löste spontane Partys auf, auf denen sich Feiernde ein wenig zu dicht aneinanderdrängten. Gerade in der Hauptstadt, die in Frankreich zu den am meisten von der Epidemie betroffenen Gegenden gehörte, scheint die strenge Ausgangssperre derzeit zu einem verstärkten Bedarf zu führen, all das nachzuholen, was von Mitte März bis Anfang Juni nicht erlaubt war. *Der Canal Saint-Martin spielt auch in dem jetzt wiederaufgenommenen Wahlkampf für das Bürgermeisteramt in Paris eine Rolle. So verspricht die sozialistische Amtsinhaberin Anne Hidalgo, die Uferstraßen des Kanals in eine Fußgängerzone zu verwandeln, sollte sie am kommenden Sonntag wiedergewählt werden. Dann findet die zweite Runde der Kommunalwahlen in den Gemeinden statt, in denen keiner der Kandidaten in der von der Pandemie überschatteten ersten Runde am 15. März auf die absolute Mehrheit gekommen ist. Derzeit liegt Hidalgo in Umfragen vor ihrer konservativen Herausforderin, der früheren Justizministerin Rachida Dati.Die in Spanien geborene Hidalgo hat Paris seit ihrem Amtsantritt 2014 zu einer fahrrad- und fußgängerfreundlicheren Stadt gemacht. 2016 hat sie daher einen Teil der Straßen direkt am rechten Seine-ufer für den Autoverkehr schließen lassen – sehr zum Leidwesen der konservativen Opposition und zahlreicher Lobbyverbände. Nach der ersten Lockerung der strengen Ausgangssperre am 11. Mai ließ sie mehrere Verkehrsadern wie die Rue de Rivoli und die Rue du Faubourg Saint-Denis in provisorische Fußgängerzonen und Fahrradwege verwandeln, um die sonst oft überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel zu entlasten. Hidalgo, die Diesel-Fahrzeuge 2024 komplett aus den Straßen der französischen Hauptstadt verbannen will, hat bereits angedeutet, dass sie diese Provisorien bei einer Wiederwahl zum Dauerzustand machen könnte.Bei den Kommunalwahlen steht jedoch nicht nur Paris im Mittelpunkt. Denn in Le Havre tritt Premierminister Edouard Philippe an, der in der ersten Runde auf 43,6 % der Stimmen gekommen ist. Während die Zustimmung für Präsident Emmanuel Macron seit Ausbruch der Corona-Pandemie in Frankreich wieder gesunken ist, erfreut sich Philippe steigender Beliebtheit. In einer gerade von Ifop für die Sonntagszeitung “JDD” durchgeführten Umfrage äußerten sich 50 % der Befragten zufrieden mit dem Premierminister, dagegen nur 38 % mit Macron. Dieser will im Juli ankündigen, wie er Frankreich nach der Coronavirus-Krise wieder zu neuem Schwung verhelfen will.Macron dürfte in den nächsten Wochen aber auch die Grundlage für seine restliche Amtszeit bis zu den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2022 legen. Er dürfte deshalb nach den Kommunalwahlen eine Regierungsumbildung verkünden, um neu durchzustarten, heißt es in Paris. Gerüchten zufolge könnte er auch seinen Regierungschef austauschen, obwohl oder weil dieser immer beliebter wird. Philippe hat bereits wissen lassen, dass er auch weiter zur Verfügung stünde und deshalb bei einem Wahlsieg in Le Havre das Bürgermeisteramt zunächst an seinen Stellvertreter abgeben könnte. Spätestens 2022 werde er jedoch in die normannische Stadt zurückkehren, verspricht er. In Paris versuchen sich bereits etliche seiner Minister in Stellung zu bringen, sollte Macron ihn früher nach Le Havre schicken.