EZB VOR NEUER LOCKERUNG

Welche Instrumente die EZB noch einsetzen kann

Neuerliche Zinssenkung gilt als ausgemachte Sache - Hohe Hürden für QE-Neuauflage - Spekulationen über Kauf von Aktien und Bankanleihen

Welche Instrumente die EZB noch einsetzen kann

Nach den jüngsten Aussagen aus der EZB gilt eine neuerliche Lockerung der Geldpolitik als ausgemachte Sache. Die Frage ist eher, wann die EZB zur Tat schreitet – und wie genau. Das macht die geldpolitische Sitzung des EZB-Rats an diesem Donnerstag zu einer besonders wichtigen – und mutmaßlich wegweisenden. Von Mark Schrörs, FrankfurtAls EZB-Präsident Mario Draghi Mitte Juni seine Rede beim jährlichen EZB-Forum in Sintra hielt, fühlten sich viele Beobachter erinnert an seine berühmte “Whatever it takes”-Rede aus dem Jahr 2012: So wie er damals versprochen hatte, alles zu tun, was nötig sei, um den Euro zu schützen, versprach er dieses Mal, alles zu tun, um das Inflationsziel von mittelfristig “unter, aber nahe 2 %” zu erreichen. Der EZB-Rat verfüge über ausreichend Instrumente. Welche Optionen aber hat die EZB? Und welches Instrument bietet welchen Nutzen und welche Risiken? 1. Die LeitzinsenDas klassische Instrument der Zentralbanken zur Beeinflussung der wirtschaftlichen Aktivität sind die Leitzinsen. Der Leitzins der EZB, der Satz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte (MRO), liegt seit März 2016 bei 0 % – ein Rekordtief. Die Euro-Hüter könnten ihn auch unter null senken. Die Société Générale etwa erwartet das für 2020. De facto hieße das aber, dass die Banken Zinsen dafür bekommen, dass sie sich bei der EZB Geld leihen. Das wäre der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln.Im Mittelpunkt der Zinsdebatte steht vielmehr der Einlagenzins. Dieser liegt seit März 2016 bei -0,4 %. Die Banken müssen also eine Art “Strafe” zahlen, wenn sie Liquidität über Nacht bei der EZB parken. Das soll sie dazu bringen, die Liquidität zur Kreditvergabe zu nutzen. Weil der Zins zugleich Fixpunkt für die Geldmärkte ist, könnte eine erneute Senkung für günstigere Finanzierungsbedingungen sorgen. Zudem dürften einige Notenbanker hoffen, dass der Euro abwertet – auch wenn das nicht unbedingt eintreten muss.An den Finanzmärkten ist nun ein Schritt auf -0,5 % im September nahezu komplett eingepreist. Einige Experten wie jene der Commerzbank setzen aber darauf, dass es bereits an diesem Donnerstag eine Senkung geben könnte, gar auf -0,6 % – um die Märkte zu überraschen. Wo genau die Zinsuntergrenze liegt, ab der es eine Flucht in Bargeld geben könnte, ist umstritten.Zuletzt ist aber auch die Sorge um die Profitabilität der Banken in den Fokus gerückt. Die EZB ist zwar überzeugt, dass bislang die Vorteile des Negativzinses die Nachteile überwiegen. Aber auch EZB-Chefvolkswirt Philip Lane hatte Anfang Juli gesagt, dass bei weiteren Zinssenkungen Maßnahmen nötig sein könnten, um die negativen Folgen für Banken abzumildern. Ein gestaffelter Einlagenzins gilt als eine Option, aber nach Ansicht vieler Experten würde er nicht alle Probleme beseitigen.Im Bereich der Leitzinsen hat der EZB-Rat auch noch die Möglichkeit, seinen Ausblick, die Forward Guidance, zu ändern. Aktuell besagt diese, dass der EZB-Rat davon ausgeht, dass die Leitzinsen “mindestens über die erste Hälfte des Jahres 2020 und in jedem Fall so lange wie erforderlich auf ihrem aktuellen Niveau bleiben werden”. Eine neuerliche Verschiebung einer Zinserhöhung in die Zukunft käme ebenfalls einer gewissen Lockerung gleich. Zur Vorbereitung einer Zinssenkung im September könnte jetzt, wie letztmalig im April 2017, auch die Option niedrigerer Zinsen aufgenommen werden. 2. Das QE-ProgrammZwischen September 2014 und Dezember 2018 hatte das Eurosystem im Zuge des breit angelegten Anleihenkaufprogramms (Quantitative Easing, QE) für rund 2,6 Bill. Euro Wertpapiere gekauft, vor allem Staatsanleihen. Die Geldschwemme sollte über verschiedenste Transmissionskanäle die Wirtschaft und damit die Inflation ankurbeln. Ende 2018 hatte der EZB-Rat die Nettokäufe eingestellt. Das Eurosystem reinvestiert aber Gelder aus auslaufenden Wertpapieren weiter. Allein bis Juni 2020 belaufen sich diese Reinvestitionen auf rund 237 Mrd. Euro.EZB-Präsident Draghi und andere Euro-Notenbanker liebäugeln nun aber damit, auch die Nettokäufe neu zu starten, also ein QE II aufzulegen. Das große Problem ist allerdings, dass das Eurosystem schnell an selbst gesetzte Grenzen stoßen könnte. Solch eine Knappheit droht insbesondere bei deutschen Staatsanleihen. Draghi hat nun aber in Sintra klargemacht, dass es bei den QE-Regeln durchaus Flexibilität gebe.Eine Möglichkeit wäre, dass die EZB den Kauf der Staatsanleihen nicht mehr nach dem Kapitalschlüssel auf die Euro-Länder verteilt – wodurch rund ein Viertel deutsche Titel gekauft werden. Das wäre aber politisch heikel, weil sich die EZB dem Verdacht aussetzen würde, speziell Länder mit einer hohen Verschuldung wie Italien zu unterstützen (Moral Hazard). Letztlich dürfte auch der Vorwurf der monetären Staatsfinanzierung lauter werden.Eine andere Regel ist jene, dass die EZB im Normalfall maximal 33 % des Gesamtbestands an Anleihen eines Emittenten oder einer Emission erwerben will. Andere Zentralbanken haben deutlich höhere Quoten akzeptiert, die Fed von bis zu 70 %. Als eine Option gilt, das Limit wie jetzt schon bei Wertpapieren zugelassener internationaler Organisationen und multilateraler Entwicklungsbanken auf 50 % zu erhöhen. Die EZB hatte die Obergrenze aber damit begründet, dass sie die Funktionsfähigkeit der Märkte und die Preisbildung sicherstellen wollte. Zudem wollte sie rechtlichen Vorwürfen entgegentreten, sie betreibe Staatsfinanzierung. Insbesondere wollte sie nicht in die Verlegenheit kommen, bei einer potenziellen Restrukturierung eine Sperrminorität zu haben. In der Notenbank wird nach Schlupflöchern gesucht, um trotzdem die Grenze anheben zu können. Das könnte aber rechtlich heikel werden. Das Bundesverfassungsgericht befasst sich Ende Juli wieder mit dem QE-Programm.Um das Volumen der kauffähigen Anleihen zu erhöhen, könnte die EZB auch andere Marktsegmente einbeziehen. BlackRock etwa empfiehlt der EZB, Aktien zu kaufen. Tatsächlich ist das in der EZB schon einmal diskutiert, aber dann verworfen worden. Spekuliert wird auch wieder über den Erwerb von Bankanleihen. Das aber birgt Interessenkonflikte mit der Rolle als Bankenaufsicht.Immer mehr Beobachter setzen darauf, dass es auch einen QE-Neustart geben wird. Die Erwartungen über das Volumen unterscheiden sich durchaus. Viele halten aber neuerliche Nettokäufe von rund 40 Mrd. Euro pro Monat für eine Option. 3. Die LiquiditätshilfenGerade erst hat der EZB-Rat eine dritte Runde seiner gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (Targeted Longer-Term Refinancing Operations) beschlossen. Von September 2019 bis März 2021 werden in vierteljährlichem Abstand Geschäfte mit jeweils zweijähriger Laufzeit angeboten. Die Konditionen sind etwas weniger generös als bei TLTRO II, aber immer noch großzügig. Im Zuge von TLTRO II hat die EZB mehr als 700 Mrd. Euro verliehen. Diese Gelder werden ab 2020 fällig. Gegen weitere Hilfen an dieser Front spricht auch, dass selbst aus Sicht vieler Notenbanker die Kreditkonditionen günstig sind und die Kreditvergabe stetig expandiert. 4. Sonstige InstrumenteZumindest theoretisch sind auch noch einige andere Instrumente vorstellbar. Die Bank of Japan etwa kontrolliert die Zinsstrukturkurve (“Yield Curve Control”). Im Euroraum gibt es aber keinen einheitlichen Anleihemarkt, keine Euro-Bonds, deren Rendite die EZB als Ziel ins Visier nehmen könnte. Die EZB könnte zudem wie andere Notenbanken einen Zinspfad veröffentlichen, um die Erwartungen der Marktteilnehmer noch stärker zu lenken. Die Skepsis gegenüber dem Instrument ist aber groß. Immer wieder wird von außerhalb der EZB auch sogenanntes “Helikoptergeld” in die Diskussion gebracht – dass die EZB also quasi Geld an Privathaushalte und Unternehmen “verschenkt”. Die Notenbanker winken aber bislang bei dem Thema immer sehr schnell ab. – Leitartikel Seite 6