Wenig Vertrauen in EU-Vertragswerk

Ex-EZB-Chefvolkswirt Issing kritisiert verwässerten Automatismus

Wenig Vertrauen in EU-Vertragswerk

bal Berlin – Den mangelnden Automatismus bei den Sanktionen für Defizitsünder im gestärkten europäischen Vertragswerk hat Otmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), kritisiert. Auf der Berliner Festveranstaltung anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Börsen-Zeitung sagte Issing: “Nach den ernüchternden Erfahrungen der Vergangenheit bleibt der Argwohn unausweichlich, mit dem Vorbehalt der politischen Entscheidung werde es in vergleichbaren Situationen in der Zukunft zu einer Wiederholung der bekannten Verstöße kommen.”Issing riet davon ab, den Wert Europas nur nach wirtschaftlichen Kriterien zu bemessen: “Geld und Währung sind nicht alles und am Ende auch nicht das Wichtigste.” Er warnte davor, zu rasch und ohne ausreichende demokratische Legitimation Kompetenzen auf die europäische Ebene zu übertragen. Er erinnerte zu Beginn seines Vortrags an die geistigen Wurzeln Europas und zitierte aus einer Rede des Mainzer Bischofs Karl Kardinal Lehmann: “Europa war eigentlich von Anfang an und besonders in der Neuzeit immer eine Einheit in Vielfalt. Seine Kultur war aus griechischen, römischen, jüdisch-christlichen und islamischen Wurzeln gewachsen. Immer ging es um die zentralen Ideen der Freiheit, der Menschenwürde und der Verantwortung, die mehr und mehr von den Institutionen der Demokratie geschützt wurden.”In gemeinsamen Euroland-Anleihen sieht Issing “die wohl größte Bedrohung der Stabilität”. Denn Deutschland gefährdete mit wachsender Haftung seine Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten und müsste schon bald wesentlich höhere Zinsen bezahlen.—– Bericht Seite 6