DIE DIGITALE ÖKONOMIE

Wenn der Mensch überflüssig wird

Computer dringen im Börsenhandel immer weiter vor

Wenn der Mensch überflüssig wird

Von Christopher Kalbhenn,FrankfurtEs ist keine zwei Jahrzehnte her, da spielten sich in den Handelsräumen der Banken regelmäßig Szenen ab, die heute wie aus einem anderen Zeitalter wirken. Wurden wichtige Zahlen wie die US-Arbeitsmarktdaten veröffentlicht, wurde es laut und hektisch, Händler versuchten, die Nachricht und ihre Implikationen so schnell wie möglich zu erfassen und umgehend in Transaktionen umzusetzen. Doch selbst die wenigen Sekunden, die der Vorgang seinerzeit in Anspruch nahm, sind im heutigen Börsenhandel eine Ewigkeit.Nur noch in winzigen Bruchteilen werden im ultraschnellen Hochfrequenzhandel Transaktionszeiten gemessen. Seine Betreiber versuchen, mit Hilfe von Algorithmen blitzschnell aus bestimmten Marktkonstellationen und kleinsten Preisdifferenzen Profit zu schlagen. Menschen sind da als aktive Händler nicht mehr gefragt. Selbst die Aufnahme von Nachrichten und ihre Interpretation ist mittlerweile den viel schnelleren Computern vorbehalten. Zu diesem Zweck werden speziell formatierte bzw. maschinenlesbare, d.h. von den Handels-Computern nutzbare nachrichtliche Meldungen produziert. Der Rechner erfasst neben den Marktbewegungen als Folge einer Veröffentlichung etwa auch das Ausmaß, in dem Konjunkturdaten vom Konsens abweichen. Menschen, die von diesem Tempo überfordert sind, haben in diesem Spiel “nur” noch die Funktion, Algorithmen zu programmieren, die Aktivitäten der Computer zu überwachen und die IT zu pflegen. Nicht nur superschnellAllerdings besteht der algorithmische Handel nicht nur aus superschnellen Transaktionen. Mit Algorithmen werden auch Transaktionen abgewickelt, bei denen die Geschwindigkeit überhaupt keine Rolle spielt. So lassen beispielsweise Broker Orders institutioneller Kunden, die über einen Handelstag hinweg eine größere Position eingehen oder abstoßen wollen, mit Hilfe von Algorithmen ausführen. Dabei werden diese Aufträge vollautomatisch nach festgelegten Parametern abgearbeitet. Das kann etwa der volumengewichtete Durchschnittskurs einer Aktie sein. Letztlich handelt es sich hierbei um eine computergesteuerte Rationalisierung, wie sie in fast allen anderen Wirtschaftszweigen zu beobachten ist. Aus volkswirtschaftlicher Sicht bedeutet dies weniger Arbeitsplätze im Wertpapierhandel. Dem stehen auf der anderen Seite erhebliche Kostensenkungen bei den Intermediären gegenüber, die an die Kunden weitergegeben werden können, und niedrigere Kosten für den Handel können auch den Anlageerträgen zugutekommen. Nutzen umstrittenWährend der “normale” algorithmische Handel wenig umstritten ist, ist der superschnelle Handel Gegenstand erhitzter Debatten. Dabei sind zwei Hauptkritikpunkte zu unterscheiden. Zum einen unterstellen institutionelle Investoren, dass Hochfrequenzhändler auf ihre Kosten Profit machen und dabei auf unfaire Vorteile wie bevorzugten Zugang zum Börsenhandel zugreifen können. Anhänger des Hochfrequenzhandels behaupten, dass dieser für deutlich höhere Marktliquidität sorgt und damit auch für engere Geld-Brief-Spannen, von denen die Institutionellen in Form günstigerer Kauf- und Verkaufspreise profitieren.Gravierender ist jedoch die Befürchtung, dass der Hochfrequenzhandel etwa durch einen Amok laufenden Algorithmus zu einem schweren Handelsunfall führen, also einen Crash auslösen könnte. Ferner wird befürchtet, dass der superschnelle Handel Marktbewegungen erheblich verstärken und damit gefährlich machen könnte, auch wenn er nicht ursächlich ist. Vorkommnisse wie vor allem der “Flash Crash” vom Mai 2010, als der Dow Jones innerhalb von wenigen Minuten fast 1 000 Punkte verlor und einzelne Aktien sogar bis zu 99 % ihres Werts einbüßten, haben zu ersten regulatorischen und gesetzgeberischen Eingriffen geführt. Allerdings hat sich gezeigt, dass die vom Computer-Handel ausgelösten Unfälle nur deswegen dramatische Ausmaße annehmen konnten, weil die Infrastruktur der in den Vorfällen involvierten Marktteilnehmer und Börsenbetreiber erhebliche Mängel etwa in Form von fehlenden, weil im Deregulierungswahn abgeschafften Volatilitätsunterbrechungen aufwiesen.