Wertgeschätzte Berater in Umbruchzeiten
Wertgeschätzte Berater in Umbruchzeiten
60 Jahre Sachverständigenrat: Wirtschaftsweise wollen neue Schwerpunkte setzen und breiter kommunizieren
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat seine letztjährige Krise längst überwunden. Die Wirtschaftsweisen versprechen zum 60. Geburtstag, die aktuellen Zeiten des Umbruchs mit einer noch breiteren und verständlicheren Kommunikation zu begleiten.
ahe Berlin
Eine Debatte, ob die Politik – speziell die aktuelle Bundesregierung – überhaupt noch an einer unabhängigen Beratung interessiert ist, wollte Olaf Scholz am Mittwoch beim Festakt zum 60. Geburtstag des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wohl gar nicht erst aufkommen lassen. Die Wirtschaftsweisen sind für ihn “das wichtigste, anerkannteste und gefragteste wirtschaftspolitische Beratungsgremium des Landes”. Und seine Regierung höre auf dieses Gremium: Immerhin habe man im vergangenen Jahr die Vorschläge der Gaspreiskommission unter dem Vorsitz der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm “fast eins zu eins umgesetzt”. Und auch der Beitrag zur Konzertierten Aktion habe 2022 dabei geholfen, steuerfreie Einmalzahlungen auf den Weg zu bringen.
Der Kanzler scheint seinen Frieden mit dem Sachverständigenrat gemacht zu haben und lobt, dass dieser von Politik und Öffentlichkeit hoch geschätzt werde, gerade weil der Rat unterschiedliche Perspektiven bündele. Dabei war es Scholz in seiner Zeit als Finanzminister und seine SPD, die sich noch 2021 gegen eine weitere Amtszeit des damaligen Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, sperrten – offenbar, weil dieser den Sozialdemokraten zu wirtschaftsliberal galt. Als dann im Frühjahr 2022 auch noch der Frankfurter Geldpolitiker Volker Wieland das Gremium vorzeitig verließ, hatte der Sachverständigenrat zeitweise nur noch drei Mitglieder und steckte in der Krise.
Die Neujustierung startete im Oktober mit zwei neuen Mitgliedern (Ulrike Malmendier und Martin Werding) und Monika Schnitzer als neuer Vorsitzenden. Die Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München war die erste Frau an der Spitze des Rates. Sie hat es offenbar geschafft, dass das Gremium in der neuen Zusammensetzung zum einen untereinander eine gute Gesprächsbasis gefunden hat. Anders als in früheren Jahren kam das jüngste Jahresgutachten auch ohne Minderheitenvoten aus. Aber auch die Bundesregierung zollt offenbar mehr Aufmerksamkeit und Respekt als einige Ministerien in früheren Jahren.
Kein Elfenbeinturm
Schnitzer reicht dies aber noch nicht, wie sie bei der Festveranstaltung zum 60. Jubiläum deutlich machte: Das Land befinde sich heute im Umbruch und sehe disruptive Veränderungen, sagte sie in Berlin. Da müsse auch die Politikberatung neue Schwerpunkte setzen. Für Schnitzer bedeutet dies, dass auch der Sachverständigenrat in Zukunft breiter und verständlicher kommunizieren muss, um mehr als ein Fachpublikum in der Öffentlichkeit zu erreichen. Zum anderen seien konstruktive Debatten notwendig, um die richtigen wirtschaftspolitischen Wege in der jetzigen Situation aufzuzeigen, da es in Umbruchzeiten potenziell immer auch Verlierer gebe.
Die 61-Jährige setzt vor allem auf eine evidenzbasierte Beratung. Hier gebe es aber in Deutschland “noch viel Luft nach oben”, zum Beispiel aufgrund von fehlenden Daten. Ohne gute Daten sei aber gute Beratung schwer und damit einhergehend auch gutes politisches Handeln. Auch die Verhaltensökonomie, die in der Wissenschaft schon ein etabliertes Feld sei, ist nach Ansicht von Schnitzer in der Politikberatung noch zu wenig präsent. Dies will sie ändern. Menschen verhielten sich nur beschränkt rational und reagierten längst nicht immer so, wie es theoretisch zu erwarten sei, sagt sie.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erinnerte die Wirtschaftsweisen daran, dass es in den Debatten um die richtigen wirtschaftspolitischen Wege nicht nur um Wachstum, sondern auch um die Vermögensverteilung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gehen müsse. Er warb in diesem Zusammenhang noch einmal für seine “transformative Angebotspolitik”, die zu einer zielgerichteten Unterstützung des grünen Umbaus der Wirtschaft führen soll. Einzelne Elemente dieser Politik – etwa ein Industriestrompreis – werden vom Sachverständigenrat kritisch gesehen.
Der Grünen-Politiker stellte klar, dass er auch künftig nicht jede Empfehlung des Rates übernehmen werde. Er lobte aber, dass die Wirtschaftsweisen “nicht im Elfenbeinturm” säßen und mit ihren Verlautbarungen schon heute zur Aufklärung der Bevölkerung beitrügen. Sein Rat zum Jubiläum: “Bleiben Sie streitbar.”