Wie bei den Fantastischen Vier
Von Stefan Reccius, Frankfurt”Wieso Herr Weidmann? Ich bin der Jens.” Seit bald anderthalb Stunden diskutiert Jens Weidmann mit Studenten, als sich der 52-Jährige bemüßigt fühlt, einen Teilnehmer an den Umgangston in der Runde zu erinnern. Alle duzen sich an diesem Freitagnachmittag und damit auch den Chef der Bundesbank, das hatte Moderatorin Esra Karakaya gleich zu Beginn des “Town-Hall-Meetings” verfügt. Das findet natürlich nicht wirklich im Foyer der Bundesbank statt, sondern über das Internet. Teilnehmer Andreas jedenfalls lässt sich durch die Intervention von höchster Stelle nicht aus seiner Komfortzone bringen und sagt: Sein Workshop bei der “Euro20+”-Woche habe ihn “sehr vorangebracht”, die Bundesbank solle das Format unbedingt ausbauen. “Das freut mich, dann haben wir unser Ziel erreicht”, entgegnet Jens, der voriges Jahr zunächst auf gutem Wege schien, das höchste Amt in der Währungsunion übertragen zu bekommen, ehe Christine Lagarde den Chefposten bei der Europäischen Zentralbank (EZB) bekam, die – und da wird die Ex-Chefin des Internationalen Währungsfonds kaum widersprechen – zwar nicht so viel von Geldpolitik verstehen mag wie der Herr Weidmann, aber mindestens genauso gut mit Menschen kann.Tatsächlich ist ein größeres Kompliment für den Bundesbank-Chef und seine Untergebenen, Verzeihung, Kollegen aus der Wilhelm-Epstein-Straße kaum denkbar. Es war das Bestreben der Bundesbank, mit diesem experimentellen Vorhaben jungen Menschen die Geldpolitik näherzubringen, einerseits. Andererseits war der aufklärerisch-bildende Charakter nur ein Element der Veranstaltungswoche, die von virtuellem Networking samt Quizabend über Workshops zu den unterschiedlichen Herausforderungen der Geldpolitik auf das abschließende Plenum zusteuerte, gewissermaßen das Mittel zu einem höheren Zweck: die Strategie der EZB zu diskutieren. Denn der EZB-Rat mit seinen 25 Mitgliedern um Weidmann und Lagarde stellt in einer aufwendigen Prozedur bis Mitte 2021 Ziele und Instrumente der Geldpolitik auf den Prüfstand. Als Gratwanderung entpuppen sich beide Motive.Wenn das 105 Minuten lange Gesprächsformat eines vor Augen geführt hat, dann die Erkenntnis, wie facettenreich und zugleich komplex die monetäre Materie ist. Nichts zeigte das so deutlich wie die Reaktionen von Moderatorin Esra, die gewöhnlich Jugendsendungen produziert. Sie muss sich vorgekommen sein wie im berühmten Klassiker der Fantastischen Vier. PSPP und PEPP, HVPI und PSD II, SSM und LSI: Die allenfalls Eingeweihten geläufigen Kürzel flogen ihr nur so um die Ohren – was auch daran lag, dass sich über weite Strecken eben doch eine Expertendiskussion unter Wirtschaftswissenschaftlern entspann. Anfangs hakte sie eifrig nach, irgendwann wurde ihr das aber wohl zu mühselig.Am leichtesten verdaulich war noch Weidmanns Klarstellung zum digitalen Euro: Ja, die Bundesbank helfe aktiv, moderne Zahlungssysteme zu entwickeln. “Aber wir wollen die Bürger nicht zu bestimmten Entscheidungen zwingen, wir wollen es euch überlassen, wie ihr bezahlt.” Wer wüsste besser um die ungebrochene Liebe der Deutschen zu Münzen und Scheinen als der oberste Zentralbanker des Landes?Wer der intellektuell fordernden Debatte nach Art eines Proseminars lange genug folgte, durfte feststellen, dass Weidmann seine Prinzipien selbst an diesem Tag nicht wie seine Krawatte ablegen kann. Als die Sprache auf Verteilungs- und Klimafragen kam, schlüpfte Weidmann, das Hemd oben aufgeknöpft, wieder in die Rolle des mahnenden Chefnotenbankers. Es stimme, finanzielle Risiken aus dem Klimawandel würden noch nicht gut genug abgebildet, und “das wird Konsequenzen für die Ankaufprogramme haben”. Aber Notenbanker dürften gewählten Politikern nicht die Sozial- und Klimapolitik abnehmen. Und noch etwas stellte er klar: So wichtig es ihm sei, die Standpunkte aller zu verstehen, könne “nicht jeder erwarten, dass seine Meinungen am Ende umgesetzt werden”.——Die “Euro20+”-Woche der Bundesbank zeigt: Die EZB-Strategiedebatte ist eine Gratwanderung.——