Wie gut und grün ist unsere Energie?
Statt Kohle- und Atomkraftwerken sollen Windkraft- und Fotovoltaikanlagen den deutschen Unternehmen und Haushalten Strom und Wärme liefern. Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine soll die Energieversorgung künftig aber nicht mehr nur nachhaltige Standards erfüllen, sondern auch moralisch-ethischen Ansprüchen gerecht werden. Ist das zu schaffen? Ein Überblick über den Status quo und Alternativen in der deutschen Energieversorgung.
Kohle
Die Europäische Union hat Mitte April ein Embargo auf russische Kohle beschlossen. Ökonomen halten dieses für verkraftbar, obwohl Kohle noch immer ein wichtiger Energieträger für Deutschland ist. 2021 verschob sich zudem der Energiemix zugunsten der konventionellen Energieträger. Verantwortlich ist Experten zufolge die kühlere Witterung. Durch eine stärkere Bewölkung bei gleichzeitig weniger Wind konnten die erneuerbaren Energieträger nicht an die Erfolge aus den Vorjahren anknüpfen.
Im Jahr 2021 machten Braunkohle (9,2 %) und Steinkohle (8,5 %) zusammen knapp ein Fünftel des deutschen Primärenergieverbrauchs aus. Der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen zufolge nahm die Energiegewinnung aus Steinkohle und Braunkohle im Vergleich zu 2020 deutlich zu: Der Steinkohleverbrauch stieg um 16,5 %, bei Braunkohle steht ein Plus von 17,7 % zu Buche. 32,9 % der in Deutschland produzierten Energie stammten aus der Braunkohle. Steinkohle wird bereits seit 2018 hierzulande nicht mehr gefördert. Deutschland importierte davon 2021 etwa 40 Mill. Tonnen, rund die Hälfte davon aus Russland. Braunkohle fördert Deutschland selbst: 105 Mill. Tonnen waren es 2021. Etwa 38,5 Mill. Tonnen kamen in der heimischen Energieerzeugung zum Einsatz. Kohleimporte aus Russland entsprechen demnach etwa 4,3 % der deutschen Primärenergieversorgung.
Energie-Expertin Karen Pittel vom Ifo-Institut hält das Kohle-Embargo für „kurzfristig unangenehm, aber verkraftbar“. Der Verein der Kohlenimporteure (VdKi) betont zudem die Stabilität des Weltmarktes. Mit den USA, Südafrika, Australien, Kolumbien, Mosambik und Indonesien stünden verlässliche Ausweichmöglichkeiten bereit. Angesichts der massiven Investitionen in grüne Energieträger sei eine Unabhängigkeit von ausländischer Kohle zudem in Reichweite. Die Ampel-Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag ohnehin darauf geeinigt – damals insbesondere aus Klimaschutz-Gründen – den bereits beschlossenen Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorzuziehen. Daran will sie festhalten.
Erdgas
Die EU-Staaten konnten sich bislang nicht auf ein Importverbot für russisches Gas einigen. Besonders stark auf der Bremse steht die Bundesregierung. Erdgas machte im vergangenen Jahr 26,8% des deutschen Primärenergieverbrauchs aus. Laut Bundeswirtschaftsministerium ist Deutschland zu 90% auf Gas-Importe angewiesen. Mehr als die Hälfte (55%) des gesamten verbrauchten Erdgases wird aus Russland importiert. Deutschland ist damit der größte Abnehmer für russisches Gas. In diesem Jahr dürfte sich die an Russland zu zahlende Gas-Rechnung einer Greenpeace-Studie zufolge von 8,8 Mrd. Euro im vergangenen Jahr auf 17,6 Mrd. Euro verdoppeln.
Unter Ökonomen, in Politik und Wirtschaft ist umstritten, inwieweit ein Gas-Embargo für Wirtschaft und Verbraucher verkraftbar wäre. Kurzfristig müsste auf eine zusätzliche Verstromung von Stein- und Braunkohle zurückgegriffen werden, schreiben etwa Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Eine Ausweitung der jährlichen Laufzeiten der für den Ausstieg vorgesehenen Kohlekraftwerke könnte zum Ersatz von russischem Erdgas beitragen. Längerfristig sei aufgrund des im Osterpaket festgeschriebenen beschleunigten Ausbaus der Erneuerbaren ohnehin mit einem rückläufigen Bedarf an Erdgas und Kohle zu rechnen. Für den Fall eines Embargos könnten Lieferverträge mit Norwegen, das bislang für 27% der deutschen Gas-Importe zuständig ist, aufgestockt und Flüssiggaslieferungen etwa aus Frankreich und Belgien bezogen werden. Bislang besitzt Deutschland allerdings kein eigenes Terminal für den Import von Flüssiggas (LNG).
Manche Ökonomen halten dem entgegen, dass ein Embargo Russlands Wirtschaft nicht entscheidend schwächen und den Krieg nicht rasch beenden würde. Russland habe in früheren Krisen ausbleibende Rohstoffexporte aus dem Staatshaushalt gegenfinanziert. Moralisch gesehen sei allerdings fragwürdig, so schreibt etwa DIW-Chef Marcel Fratzscher, dass deutsche Abnehmer Milliarden für russisches Öl und Gas zahlen – und so die Militärausgaben des Kremls indirekt mitfinanzierten.
Atomkraft
Im Unterschied zu Kohle und Gas spielt die Kernenergie im Kontext des Ukraine-Kriegs keine direkte Rolle. Auch für die deutsche Stromerzeugung werden die Atomkraftwerke aufgrund des 2011 unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossenen Atomausstiegs immer unbedeutender: 2021 waren sie nur noch für 11,3% der Stromerzeugung verantwortlich. Ende dieses Jahres soll das letzte deutsche Kernkraftwerk vom Netz gehen.
Allerdings haben die Sanktionen gegen Russland und die explodierenden Energiepreise den Fokus von der Nachhaltigkeit auf die Versorgungssicherheit gelenkt. Politiker monieren, der Ausstieg aus Kernenergie und Kohle und die Importabhängigkeit beim Gas hätten Deutschland ein „Klumpenrisiko“ beschert. Der Kernenergiesektor hat sich als möglicher Puffer im Fall eines Öl- und Gasembargos ins Spiel gebracht.
Zwar hat das Bundeswirtschaftsministerium mit Verweis auf einen Prüfvermerk zu rechtlichen Schwierigkeiten bei einer Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke abgewunken. In einer Antwort schreibt der Verein Kerntechnik Deutschland (KernD, früher: Deutsches Atomforum), die Kernkraftwerke könnten eine entscheidende Rolle für die Versorgungssicherheit in Kriegszeiten spielen. KernD zufolge ist die Rechtslage weit klarer. Ein Grund: Durch den Ausstieg aus der Atomkraft erlischt nicht die Betriebsgenehmigung der Kraftwerke, sondern erst dann, wenn die Genehmigung für den Rückbau der Kraftwerke eingegangen sei – und diese stehe noch aus. Der Verband geht noch weiter: Kernkraftwerke könnten in einer energiewirtschaftlichen Notlage in Deutschland „mit ihrer grundlastfähigen Stromerzeugung einen entscheidenden Beitrag zur Energiesicherheit leisten, ohne unverhältnismäßigen Aufwand zu erzeugen“.
Zudem könne die Atomenergie im Gegensatz zur Kohleverstromung zusätzliche, kostspielige CO2-Emissionen vermeiden. Seit die EU-Taxonomie Kernkraft als nachhaltig klassifiziert, ist auch unter Klimaschutz-Gesichtspunkten von dieser Seite nicht mit Kritik zu rechnen.
Windkraft
Der Ausbau der Windkraft ist für den Erfolg der Energiewende in Deutschland entscheidend. Im vergangenen Jahr lag der Anteil von Windkraftanlagen an Land und auf See an der Bruttostromerzeugung trotz verhältnismäßig schlechter Windverhältnisse hierzulande mit 20% auf Platz 1 aller Energieträger und machte damit etwa die Hälfte der erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung aus. Die Windkraft ist aber nicht nur wegen der schieren Leistungsfähigkeit bedeutend, sondern anders als etwa die Solarenergie mehr oder weniger rund um die Uhr verfügbar – über allen Gipfeln ist eben doch nur selten Ruh. Die Windenergie gilt trotz der Kritik von Anrainern auch als flächeneffizient und zählt zu den günstigsten Erneuerbaren. Auf 2% der Landesfläche, die die Ampel-Koalition für die Windenergie reservieren will, könnten nach Einschätzung von Experten bis zu 400 Terawattstunden Strom pro Jahr erzeugt werden.
Zuletzt wehte beim Zubau von neuen Windenergieanlagen allerdings nur ein laues Lüftchen. Offshore blieb es im vergangenen Jahr deutschlandweit bei 1501 Anlagen und die installierte Leistung auf See stagnierte auf einem Niveau von 7,8 Gigawatt (GW). An Land kamen netto immerhin etwas mehr als 250 Anlagen hinzu und die installierte Leistung stieg um knapp 1,7 GW auf etwas mehr als 56 GW. Der Brutto-Zubau an Land kletterte gegenüber dem Vorjahr um etwas mehr als ein Drittel und erholt sich langsam vom Einbruch im Jahr 2019.
Geht es nach den Plänen der Bundesregierung, wird das beschauliche Treiben bald ein Ende haben. Um die Klimaziele zu erreichen und außerdem die Abhängigkeit vom Import fossiler Energieträger aus Russland zu reduzieren, hat die Ampel-Koalition die Ausbauziele für die Erneuerbaren vor Ostern noch einmal angehoben. Bis 2030 soll der Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion auf 80% steigen und im Vergleich zum Vorjahr etwa verdoppelt werden. Der Ausbau der Windenergie an Land soll dazu bis 2026 auf 10 GW pro Jahr steigen. Offshore sollen bis 2030 mindestens 30 GW Leistung installiert sein.
Solar
Das sonnige Osterwochenende hat den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in Deutschland über die Feiertage auf knapp 56% katapultiert. Insgesamt wurden über Ostern mehr als 2300 Gigawattstunden (GWh) Strom aus Erneuerbaren ins Netz eingespeist, wie die Bundesnetzagentur mitteilte. Den größten Anteil hatten Fotovoltaikanlagen mit knapp 970 GWh. Doch auch wenn Deutschland unter einer Wolkendecke liegt, erzeugen die Solarzellen Strom. Das Fraunhofer Institut hat ausgerechnet, dass Fotovoltaik locker das Dreifache des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland liefern könnte, wenn alle für die Solarenergie geeigneten Flächen genutzt würden. Weil der Wind häufig abebbt, wo die Sonne scheint – und umgekehrt –, klappt mit Solarenergie auch die Arbeitsteilung mit Wind als zweitem Arbeitspferd der Energiewende gut.
In den Plänen der Bundesregierung für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energieträger spielt die Solarenergie ebenfalls eine entscheidende Rolle. Bis 2026 soll der Zubau pro Jahr auf 22 Gigawatt (GW) installierte Leistung steigen, nachdem es im vergangenen Jahr etwas mehr als 5 GW waren. Bis 2030, wenn die Erneuerbaren nach den Vorstellungen der Ampel-Koalition 80% der Stromproduktion in Deutschland beitragen werden, sollen Solaranlagen mit insgesamt 215 GW Leistung installiert sein und gemessen daran noch deutlich vor Windenergie an Land (115 GW) und Offshore-Wind (30 GW) liegen. Im vergangenen Jahr waren nach vorläufigen Schätzungen der Bundesnetzagentur Solaranlagen mit 59 GW Leistung auf Dächern, Freiflächen und sonstigen Anlagen installiert.
Im Vergleich zur Windenergie sind die Widerstände gegen den Ausbau der Solarenergie bei Anrainern meistens gering. Allerdings leidet auch die Fotovoltaik unter bürokratischen Hürden. „Hierzu zählt beispielsweise, dass die gemeinsame Nutzung von Solarstrom in einem Gewerbegebiet durch rechtliche Regelungen behindert wird“, kritisierte DIHK-Präsident Peter Adrian vor wenigen Tagen im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
Wasserstoff und Flüssiggas
Eine der ersten Auslandsreisen von Robert Habeck (Grüne) nach der russischen Invasion in der Ukraine führten den Bundeswirtschaftsminister an den Persischen Golf. Auf dem Programm stand die Sicherheit der Energieversorgung in Deutschland. Vereinbart wurden dazu Importe von Flüssiggas (LNG) aus dem Emirat Katar und eine Partnerschaft zum Aufbau einer Lieferkette für grünen Wasserstoff aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Unabhängig vom geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien und der geopolitischen Großwetterlage bleibt Deutschland abhängig von Energieimporten. Der Anteil der Erneuerbaren am Primärenergieverbrauch in Deutschland lag im vergangenen Jahr gerade einmal bei 16%, wovon Holz für Heizzwecke, Biokraftstoffe für Mobilität und andere Bioenergieträger fast die Hälfte ausmachten. Mehr als drei Viertel des Primärenergieverbrauchs basierte auf fossilen Energieträgern. Das Fernziel Klimaneutralität bis 2045 der Bundesregierung stellt die gewaltigen Herausforderungen einer vollständig dekarbonisierten Stromerzeugung bis 2035 in den Schatten. Denn die Sektoren Wärme, Mobilität und Industrie müssen ebenfalls defossilisiert werden.
Einen wichtigen Beitrag dazu soll grüner Wasserstoff leisten, der mit Hilfe von erneuerbaren Energien gewonnen wird. Nicht nur die Bundesregierung macht Tempo, auch die Industrie hat den Hebel umgelegt. So will der Energiekonzern Eon zusammen mit der australischen Fortescue 2030 bis zu 5 Mill. Tonnen grünen Wasserstoff nach Deutschland liefern, wie die Unternehmen Ende März bekannt gaben. Allein die deutsche Stahlindustrie benötigt nach Einschätzung von Experten rund 2 Mill. Tonnen, um ihre Produktion zu dekarbonisieren.
Wichtiger als die mittelfristige Defossilisierung von Industrieprozessen ist nach der russischen Invasion in der Ukraine die kurzfristige Sicherung der industriellen Basis. Flüssiggas soll dazu die Abhängigkeit von Gasimporten aus Russland reduzieren. Der Aufbau der dazu nötigen Infrastruktur könnte später auch für Wasserstoff genutzt werden.