EU-Kommission

„Wir können Lieferketten nicht mehr ignorieren“

Das europäische Lieferkettengesetz wird nach Einschätzung der EU-Kommission die Geschäftsmodelle der Unternehmen und das aktuelle Wirtschaftsmodell insgesamt verändern. Knapp 17000 Unternehmen werden von den neuen Vorgaben direkt betroffen sein.

„Wir können Lieferketten nicht mehr ignorieren“

ahe Brüssel

Die EU-Kommission hofft, mit ihrem neuen Lieferkettengesetz Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen zu schaffen. Verbrauchern und Anlegern würden die neuen Vorgaben mehr Transparenz bringen, erklärte die Behörde am Mittwoch. Die Richtlinie werde zudem den ökologischen Wandel voranbringen und die Menschenrechte in Europa und darüber hinaus schützen.

Dem Gesetzesvorschlag zufolge, der im Vorfeld bereits bekannt geworden war, müssen Unternehmen die Sorgfaltspflicht zum integralen Bestandteil ihrer Politik machen. Unternehmen ab einer bestimmten Größe müssen dann tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen auf Menschenrechte und die Umwelt ermitteln, sie versuchen zu verhindern oder abzuschwächen, dies dauerhaft kontrollieren und darüber auch öffentlich kommunizieren. EU-Justizkommissar Didier Reynders erklärte bei der Vorstellung des Gesetzes in Brüssel: „Dieser Vorschlag verändert die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit entlang ihrer globalen Lieferketten ausüben. Wir können unsere Lieferketten nicht mehr ignorieren – wir brauchen einen Wandel in unserem Wirtschaftsmodell.“

Auf den Märkten hat sich nach den Worten von Reynders bereits eine Dynamik zur Unterstützung dieser Initiative entwickelt. Auch die Verbraucher wünschten sich nachhaltigere Produkte. Die EU-Kommission hofft, mit dem Gesetz auch etwas gegen die aktuelle rechtliche Fragmentierung zu unternehmen. Denn Länder wie Deutschland, Frankreich oder die Niederlande haben bereits – sehr unterschiedliche – nationale Vorschriften erlassen oder arbeiten diese aus, wie etwa in Österreich, Belgien, Finnland und Dänemark. Darüber hinaus gibt es zahlreiche freiwillige Initiativen. Dies führt nach Einschätzung der EU-Kommission zu Rechtsunsicherheiten.

Von den neuen Regelungen werden der Behörde zufolge knapp 17000 Unternehmen direkt betroffen sein – darunter 12800 aus der EU. 9400 EU-Unternehmen erfüllen demnach das Größenkriterium (mindestens 500 Beschäftigte und ein globaler Nettoumsatz von 150 Mill. Euro im Jahr). Weitere 3400 EU-Un­ternehmen fallen in die Gruppe mit über 250 Beschäftigten und 40 Mill. Euro Mindestumsatz, von dem aber über die Hälfte aus Risikobranchen wie Landwirtschaft, Textil oder Rohstoffe stammt. Diese Gruppe muss die Regeln erst zwei Jahre später umsetzen. Kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) werden zwar grundsätzlich vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen. Sie sind aber indirekt auch betroffen, da sie Bestandteil der Lieferketten der großen Konzerne sind.

„Jetzt haben wir einen guten Aufschlag auf dem Tisch – dieser setzt innerhalb der EU aber auch über deren Grenzen hinweg ein starkes Zeichen: Nachhaltigkeit wird zu einem elementaren Bestandteil der globalen Handelspolitik“, lobte Bernd Lange (SPD), der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament. Die EU gehe voran. Das Interesse von internationalen Partnern sei groß. „Mit dem Gesetz können wir einen Standard setzen, der global ausstrahlen wird“, betonte Lange. Auch die USA schauten beispielsweise im Bereich der Handelspolitik zunehmend auf die konkrete Unternehmensverantwortung.

Der EU-Vorschlag sieht vor, dass die nationalen Aufsichtsbehörden bei Nichteinhaltung von Sorgfaltspflichten Geldbußen verhängen können. Zusätzlich werden die Opfer die Möglichkeit haben, rechtliche Schritte im Falle erlittener Schäden einzuleiten, die bei angemessener Sorgfalt hätten vermieden werden können. Im Fokus stehen dabei Menschen- und Arbeitsrechte laut internationaler Abkommen sowie der Umwelt- und Klimaschutz. Unternehmen müssen dabei sicherstellen, dass ihre Geschäftsstrategie die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 berücksichtigt.

Aus der Bundesregierung kam Lob. Entwicklungsministerin Svenja Schulze sprach von einem starken Aufschlag, von dem besonders Frauen profitieren würden. Arbeitsminister Hubertus Heil ergänzte, Ausbeutung und Kinderarmut könnten kein Geschäftsmodell sein.

Aus dem EU-Parlament kamen unterschiedliche Bewertungen. Die Grünen sprachen von einem „bahnbrechenden“ Vorschlag. Der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken forderte, den Anwendungsbereich noch zu erweitern – im Gegensatz zum CDU-Rechts­experten Axel Voss. Unternehmen sollten ihre Lieferketten nur dort kontrollieren, wo klare Risiken vorlägen, sagte dieser. „An­sonsten entsteht ein zahnloser Tiger, der keine Verbesserungen bringt, sondern Unternehmen mit völlig sinnloser Bürokratie überlädt.“

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