IM INTERVIEW: HARUHIKO KURODA

"Wir können unsere Geldpolitik noch erheblich lockern"

Japans Zentralbankchef über Zweifel an der Macht der Bank of Japan, "Helikoptergeld", mehr fiskalische Stimulierung und die Zukunft der Notenbanken

"Wir können unsere Geldpolitik noch erheblich lockern"

– Herr Kuroda, sind Sie und Ihre Kollegen in der Bank of Japan am Ende Ihrer Möglichkeiten angekommen, und gehen Ihnen die Mittel aus, um Japans Wirtschaft und damit die Inflation anzukurbeln?Nein, auf keinen Fall. In den vergangenen drei Jahren haben wir unsere Politik der quantitativen und qualitativen Lockerung – des QQE – umgesetzt, und die wirtschaftliche Situation hat sich in dieser Zeit ganz erheblich verbessert: Der Unternehmenssektor freut sich über historisch hohe Profite und erhöht seine Anlageinvestitionen. Für die Haushalte hat sich die Beschäftigungs- und Einkommenssituation merklich verbessert. Die Arbeitslosenquote liegt bei rund 3 %, und die Grundgehälter steigen seit drei Jahren. Vor 2014 hatte es fast 20 Jahre lang keinen Anstieg gegeben. Was nun die Inflation betrifft…- … liegt die immer noch bei rund 0 % und damit weit entfernt von den anvisierten 2 %.Ja, wie in der Eurozone liegt die Gesamtrate der Inflation bei rund 0 %. Aber genau wie in der Eurozone liegt das hauptsächlich an dem starken Rückgang der Energiepreise. Ohne Energiegüter und frische Lebensmittel beträgt die Teuerungsrate rund 1 %, und sie liegt seit 30 Monaten im positiven Bereich. Das ist wirklich neu. Wir hatten von 1998 bis 2012 eine sehr lange Phase der Deflation. Dann haben wir mit QQE begonnen, und die Situation bei den Preisen hat sich erheblich verbessert. Aber rund 1 % sind immer noch deutlich weniger als das 2 %-Ziel, deswegen gebe ich zu: Wir haben bislang erst die Hälfte des Weges geschafft. Aber wir sind absolut auf dem richtigen Weg.- Die Frage, ob die Bank of Japan an ihre Grenzen gestoßen ist, stellen sich Beobachter noch mehr, nachdem Sie bei der jüngsten Sitzung zwar das Erreichen des 2 %-Ziels erneut nach hinten verschoben haben, zugleich aber zur Überraschung vieler Experten keine neue Lockerung verkündet haben.Da gilt es zweierlei zu bedenken: Erstens verbessert sich wie gesagt der Trend bei der zugrundeliegenden Inflation. Aber wegen der niedrigen Energiepreise haben wir weiterhin eine sehr niedrige Gesamtteuerung. Sobald sich die Energiepreise stabilisieren und wieder steigen, werden wir uns in Richtung des 2 %-Ziels bewegen. Dieser Prozess dauert jetzt nur ein wenig länger als erwartet, und deswegen haben wir den Zeitpunkt für die Zielerreichung geringfügig nach hinten verschoben. Statt in der ersten Jahreshälfte des Fiskaljahres 2017 erwarten wir das jetzt im Verlauf des Fiskaljahres 2017. Die Mechanismen, um zu 2 % Inflation zu kommen, funktionieren weiterhin. Zweitens haben wir erst im Januar unser QQE mit negativem Zinssatz beschlossen, um die wirtschaftliche Situation weiter zu verbessern und die Rückkehr zu 2 % Inflation zu beschleunigen. Und in Kraft getreten ist der Negativzins sogar erst Mitte Februar. Die Wirkung an den Finanzmärkten ist bereits sehr eindeutig, und sie ist so, wie wir es beabsichtigt haben. Bevor sich die Wirkung in der Realwirtschaft zeigt, müssen wir aber noch ein paar Monate warten. Wir müssen ein wenig geduldig sein. Wir werden alles sehr aufmerksam verfolgen. Aber noch einmal: Der positive Inflationstrend ist absolut intakt.- Welchen Effekt des Negativzinses sehen Sie denn bislang?Unser QQE mit negativem Zinssatz hat die gesamte Zinskurve deutlich nach unten verschoben. Die Zinsen für Unternehmens- oder Wohnungsbaukredite sind erheblich gesunken. Viele Unternehmer sagen uns, dass sie beabsichtigen, ihre Investitionen in den nächsten Monaten zu erhöhen. Das zeigt auch unsere jüngste Konjunkturumfrage, der Tankan-Bericht: Trotz einiger Unsicherheiten über die Weltwirtschaft und trotz der Volatilität an den Finanzmärkten verfolgt der Unternehmenssektor in Japan eine sehr robuste Investitionspolitik. Das gilt für das vergangene Fiskaljahr, und das gilt für das aktuelle Fiskaljahr.- Sie mahnen mehr Geduld an. Aber wie geduldig können Sie sein, wenn zugleich der Yen aufwertet, was die heimische Wirtschaft tendenziell belastet?Der starke Yen ist nicht das Ergebnis unserer Politik.- Nicht? Nach dem jüngsten geldpolitischen Stillhalten hat der Yen deutlich an Wert zugelegt. Und selbst nach der Einführung des Negativzinses im Januar hat der Yen aufgewertet.Nachdem wir den Negativzins eingeführt hatten, hat der Yen zunächst abgewertet. Dann aber gab es die große Unsicherheit über Chinas Wirtschaft, den anhaltenden Rückgang der Ölpreise und die Erwartungen an den Märkten, dass die US-Leitzinsen weniger stark und schnell angehoben werden als zunächst gedacht. Der Yen legte deshalb zu. In dem Sinne wurde unsere neue Politik von diesen externen Faktoren überlagert.- Heißt das, die aktuelle Yen-Stärke sorgt Sie nicht sonderlich?Wenn wir im Januar nicht unsere neue Politik beschlossen hätten, hätte der Yen sicher noch stärker aufgewertet. Jetzt beginnen sich die externen Faktoren zu stabilisieren: Die Unsicherheit über die chinesische Wirtschaft ist zurückgegangen. Die Ölpreise scheinen die Talsohle erreicht zu haben. Die Unsicherheit über die Geldpolitik der Fed hat auch nachgelassen. Die Lage an den Märkten hat sich noch nicht vollkommen stabilisiert. Es gibt noch Instabilitäten und Anfälligkeiten. Aber wenn sich die Lage an den Märkten weiter beruhigt, wird sich auch das Anlageverhalten normalisieren. Niedrigere Zinsen werden dann zu einer schwächeren Währung führen.- Grundsätzlich aber sind Sie und Ihre Kollegen bereit und fähig nachzulegen, falls sich die erhoffte Wirkung in der Realwirtschaft nicht so zeigt?Sicher, warum nicht? Unser Negativzins liegt bei – 0,1 % – aber die EZB liegt bei – 0,4 %. Und unser QQE ist zweifelsohne beträchtlich – aber wir haben aktuell nur rund 30 % der am Markt erhältlichen japanischen Staatsanleihen gekauft. Das heißt, im Markt gibt es noch 70 %. QQE kann also weitergehen. Die qualitative Lockerung, die quantitative Lockerung, der Negativzins – das sind die drei Dimensionen, in denen wir handeln können. Wir können unsere Geldpolitik noch erheblich lockern, wenn wir das für nötig erachten sollten.- Wie weit können Sie den Zins denn noch unter null senken? Diese Frage wird auch in der Europäischen Zentralbank (EZB) heftig diskutiert.Zunächst einmal: Anders als bei der EZB gilt unser Negativzins nicht für die kompletten Überschussreserven, sondern nur für einen kleinen Teil. Von den gesamten Überschussreserven von rund 260 Bill. Yen gilt der Negativzins nur für 10 bis 30 Bill. Yen. Für den Großteil ihrer Reserven erhalten Japans Banken also von uns weiter einen positiven Zins. Aber bereits der minimal negative Zins auf einen marginalen Teil der Reserven hat die Marktzinsen erheblich gesenkt. Rein technisch können wir so tief gehen wie die EZB. Aber die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, was ist nötig und was ist angemessen. Und die Antwort hängt von der wirtschaftlichen Situation ab, insbesondere von der Inflationsdynamik. Derzeit liegt die Gesamtrate bei rund 0 %, aber die unterliegende Inflation bei rund 1 %. Sobald die Energiepreise zu steigen beginnen, wird die Inflation allmählich Richtung 2 % klettern.- Sie haben sich entschieden gegen die Idee von “Helikoptergeld” ausgesprochen, also von Geldgeschenken der Zentralbank an Unternehmen, Haushalte oder den Staat. Warum? EZB-Chefvolkswirt Peter Praet hat gesagt, das sei zwar ein extremes Instrument, aber eines, das grundsätzlich allen Zentralbanken zur Verfügung stehe.Wenn ich es richtig verstanden habe, hat mein guter Freund Mario Draghi diese Idee auch verworfen.- EZB-Präsident Draghi hat gesagt, der EZB-Rat habe darüber nie diskutiert.Genau, und wir haben als Bank of Japan auch nie darüber diskutiert. Aber ernsthafter: Die Idee von Helikoptergeld ist es, Geldpolitik und Fiskalpolitik zu einer Politik zusammenzuführen. Aber Sie werden sicherlich wissen, dass es in nahezu allen OECD-Ländern so ist, dass die Fiskalpolitik in die Verantwortung der Regierung fällt und die Geldpolitik in die Verantwortung einer unabhängigen Zentralbank. Es gibt also eine klare Arbeitsteilung. Wenn beides zu einer Einheit verschmolzen würde, wer würde dann entscheiden? Wenn die Regierung entscheiden würde, wäre die Unabhängigkeit der Zentralbank völlig ausgehöhlt. Hingegen wäre die Zentralbank nicht demokratisch legitimiert für die Fiskalpolitik, anders als die Regierung oder das Parlament. Was würde da das Volk sagen? Kooperation zwischen Geld- und Fiskalpolitik ist in Ordnung, aber das hat Grenzen.- In Japan gibt es eine sehr enge Zusammenarbeit von Regierung und Notenbank im Zuge der sogenannten Politik der “Abenomics”.Im Januar 2013 wurde eine gemeinsame Erklärung von Regierung und Zentralbank veröffentlicht. Darin wurden die Abenomics beschrieben, und es gab eine Einigung, Fiskal-, Geld- und Strukturpolitik zu nutzen, um die Deflation zu überwinden. Aber Geld- und Fiskalpolitik zu verschmelzen, wäre im aktuellen institutionellen Rahmen nicht machbar – und das gilt für nahezu alle OECD-Länder. Das ginge einen Schritt zu weit.- Sehen Sie denn aktuell in Japan eine Notwendigkeit für einen weiteren fiskalischen Stimulus?Das zu entscheiden, ist grundsätzlich Sache der Regierung. Tatsache ist, dass die Regierung im Zuge von Abenomics die Fiskalpolitik sehr flexibel gehandhabt und Impulse gesetzt hat – auch in diesem Jahr. Für das Fiskaljahr 2015 hat das nationale Parlament bereits einen Zusatzhaushalt in Höhe von 0,6 % des Bruttoinlandsprodukts bewilligt, und der wird nun umgesetzt. Das bereits beschlossene Budget für das Fiskaljahr 2016 ist sogar das höchste, das es jemals gegeben hat. Und die Regierung beabsichtigt, die Auszahlung der Budgetmittel zu beschleunigen. Darüber hinaus soll es einen Zusatzhaushalt geben für die Opfer des jüngsten Erdbebens.- Das klingt, als ob Sie keinen Bedarf für noch mehr sehen?Wie ich gesagt habe, das ist nicht unsere Entscheidung.- Was halten Sie denn von der für April 2017 geplanten nächsten Erhöhung der Mehrwertsteuer von 8 % auf 10 % – wäre es besser, diese zu verschieben? 2014 hat die Erhöhung von 5 % auf 8 % die Wirtschaft durchaus belastet.Dazu will ich mich nicht äußern. Eines allerdings gilt es zu berücksichtigen: 2014 gab es eine generelle Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte. 2017 sollen es 2 Punkte sein. Zudem werden alle Lebensmittel von der Erhöhung ausgenommen. Zusammengenommen bedeutet das, dass der erwartete Dämpfer für das Wachstum schätzungsweise halb so stark sein wird wie 2014. Unsere Schätzung beläuft sich auf 0,6 % des Bruttoinlandsprodukts. Im Fiskaljahr 2014 waren es 1,3 %. Unsere Prognosen basieren auf der Annahme, dass die Steuererhöhung wie geplant kommt. Und trotz des erwarteten Dämpfers gehen wir davon aus, dass das Wachstum im Fiskaljahr 2017 recht positiv ausfallen wird.- Lassen Sie uns zum Schluss noch einmal zur Geldpolitik zurückkommen: Ist das Inflationsziel von 2 % noch angemessen? Vor allem in Deutschland argumentieren viele Beobachter, Preisstabilität bedeute eigentlich 0 % Inflation.In nahezu allen fortgeschrittenen Volkswirtschaften gibt es ein Inflationsziel von 2 %. Warum? Der eine Grund ist, dass der Konsumentenpreisindex die tatsächliche Inflation tendenziell überschätzt. Das belegen zahlreiche Studien. Für Japan gibt es einige Studien, die diesen Effekt auf 1 Prozentpunkt oder sogar mehr schätzen. Das heißt, dass wenn die gemessene Inflation 1 % beträgt, die tatsächliche Inflation vielleicht nur 0 % ist oder die Teuerungsrate gar schon in einem negativen Bereich liegt. Der andere Grund ist, dass im Fall eines wirtschaftlichen Abschwungs oder einer Rezession die Inflation womöglich sinkt, die Leitzinsen aber bei 0 % oder in einem leicht negativen Bereich feststecken könnten. Wenn das der Fall ist, müssen Zentralbanken zu unkonventionellen Instrumenten greifen. Das ist dann angemessen. Aber im Vergleich zur normalen Geldpolitik mit Zinserhöhungen und -senkungen ist die unkonventionelle Geldpolitik komplizierter. Deswegen ist es gut, einen gewissen Puffer zu haben. Das Inflationsziel von 2 % ist absolut angemessen und richtig.- Ist diese unkonventionelle Geldpolitik mit breit angelegten Wertpapierkäufen und Negativzinsen die neue Normalität der Geldpolitik in der Zukunft?Das kommt auf die Inflationsperspektive an. Aber ich bin mir recht sicher, dass nicht nur wir in Japan, sondern alle Zentralbanken das 2 %-Ziel in angemessener Zeit erreichen können und die Geldpolitik dann wieder normalisiert werden kann. Die US-Notenbank Fed hat mit der Normalisierung bereits begonnen.- Aber die Fed hat damit große Probleme, dabei hat sie noch nicht einmal begonnen, ihre aufgeblähte Bilanz zu reduzieren.Die Exitstrategie der Fed ist recht klar. Die Fed sagt, dass sie die Zinsen falls nötig sehr schnell erhöhen kann, ohne zuvor die Bilanz reduzieren zu müssen; dass das erst im Anschluss kommen muss. Das unterscheidet sich von der ursprünglichen Exitstrategie. Dazu haben sicher die Marktturbulenzen im Jahr 2013, das “Taper Tantrum” beigetragen. Jetzt ist es klar, was die Fed vorhat – und sie ist auf Kurs.—-Das Interview führten Claus Döring und Mark Schrörs.