„Wir sollten retten, was wir retten können“
Anna Steiner.
Herr Hentschke-Kemper, das International Panel on Climate Change (IPCC) hat am Montag seinen sechsten Sachstandsbericht veröffentlicht. Der letzte Bericht liegt acht Jahre zurück. Was war für die Klima-Allianz die überraschendste Erkenntnis?
Weniger überraschend, aber vor allem schockierend sind die Ergebnisse des ersten Teils des 6. Sachstandsberichtes. Die Klimaerhitzung findet noch schneller statt, als viele befürchtet haben, und wir sehen die massiven Auswirkungen schon heute, wie zuletzt auch mit den Starkregen und Hochwasserereignissen in Deutschland Mitte Juli oder den verheerenden Waldbränden im Mittelmeerraum.
Im Vergleich zum letzten Bericht 2013 hat sich der Ton deutlich verändert. So steht erstmals deutlich in dem Bericht, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Ist das nun Konsens unter Wissenschaftlern?
Das liegt vor allem daran, dass sich die Studienlage zu diesem Thema noch einmal deutlich verbessert und auch zugenommen hat und daher nun vom IPCC auch ein noch klarerer Zusammenhang hergestellt wird. Die Einigkeit bestand schon vorher, nur hat sich die Deutlichkeit der Aussage verändert.
Trotz der alarmierenden Ergebnisse bemüht sich der Weltklimarat um Optimismus. Ist das noch angebracht? Immerhin drängen Wissenschaftler und Aktivisten seit vielen Jahren auf ein entschiedeneres Handeln der Politik.
Es muss darum gehen, jedes Zehntel Grad der Klimaerhitzung zu verhindern, da die Klimafolgen mit steigenden Temperaturen immer stärker werden. Es macht also durchaus einen großen Unterschied, ob wir eine Erderhitzung von 1,5 Grad oder schon 1,6 Grad haben. Das ist sehr wichtig. Zudem ist es klar, dass wir alle technischen und ökonomischen Möglichkeiten für wirksame Klimaschutzmaßnahmen haben, es fehlt aber bislang der politische Wille, sie umzusetzen. Daher teile ich den Optimismus des Weltklimarates.
Was muss die Politik nun tun? Was die Unternehmen?
In allen Sektoren müssen die Emissionen schnell und massiv sinken. Wenn wir nicht in diesem Jahrzehnt eine Trendwende bei den Emissionen schaffen, wird es nicht mehr möglich sein, die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 einzuhalten. Die Politik braucht vor allem den Mut und den Gestaltungswillen, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die klimakompatibel sind und die etwa den Unternehmen eine klare Orientierung geben, in welche Richtung sie umsteuern müssen.
Und was können wir Privatleute tun?
Wir als Bürgerinnen und Bürger können natürlich über unser eigenes Handeln auch etwas beitragen, aber letztlich braucht es einen klaren leitenden politischen Rahmen, der es uns ermöglicht, auch die richtigen individuellen Entscheidungen zu treffen.
Bislang ist der Bundestagswahlkampf vor allem durch Nebenkriegsschauplätze geprägt. Wird der Klimaschutz Ihrer Meinung nach in den verbleibenden Wochen bis zur Wahl noch ein wichtiges Wahlkampfthema?
Mit dem IPCC-Bericht und den Ereignissen der letzten Wochen in Deutschland denke ich, dass wir nun in eine inhaltliche Diskussion zur Ausgestaltung von Klimaschutzmaßnahmen kommen. Es braucht einen politischen, sachlichen Wettstreit um das beste Gesamtkonzept. Das würde dem Wahlkampf guttun. Was an Nebenkriegsschauplätzen noch alles aufgebauscht wird, ist schwer abzuschätzen, aber die Fragen der Klimakrise sind gesamtgesellschaftlich so groß, dass die neue Bundesregierung beim Klimaschutz mit hohem Tempo arbeiten muss.
Taugt der Bericht mit seinen schockierenden Aussagen dazu, einen Klimaclub, wie ihn der Nobelpreisträger William Nordhaus vorgeschlagen hat, erneut auf die Tagesordnung zu setzen?
Klimaclubs und Klimavorreiter sind wichtig, um den Weg zu bereiten und um der Welt zu zeigen, wie sich der Klimakrise begegnen lässt. Teil dieser Clubs müssen dann natürlich die wesentlichen Emittenten der Welt sein. Es wird aber auch darauf ankommen, im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen die Staaten dieser Erde mitzunehmen.
Ist all das Bemühen des Weltklimarats um einen optimistischen Ausblick ein Ausdruck von Verzweiflung? Denn wer würde noch viel Geld in die Hand nehmen, um das Klima zu retten, wenn es ohnehin nicht mehr zu retten ist? Wie sehen Sie das?
Ich kann mich nur wiederholen: Jedes Zehntelgrad zählt. Das, was wir zur Zeit erleben, ist nur ein Vorgeschmack auf das, was uns erwarten wird, wenn wir beim Klimaschutz in dem langsamen Tempo weitermachen wie in den letzten Jahren. Die Schäden und Verluste im globalen Süden sind heute durch die Klimakrise schon so hoch, dass wir sehen können: Langfristig ist mit viel höheren Folgekosten zu rechnen, die es gebieten, massiv in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren. Neben finanziellen Fragen geht es aber um das blanke Überleben von Menschen. Daher sollten wir alles dafür tun, zu retten, was wir retten können.
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