"Wir stehen bald an der Spitze der Belastung"
Der Wirtschaftsweise Lars Feld rät zu einer Unternehmenssteuerreform – nicht aus konjunkturellen, aber aus strukturellen Gründen. Bei vollständigem Abbau des Solidaritätszuschlags hält er eine leichte Anhebung des Spitzensteuersatzes für vertretbar. Herr Feld, Deutschland ist im internationalen Steuerwettbewerb immer weiter zurückgefallen und mit Blick auf die Unternehmenssteuersätze ein “Hochsteuerland”: Wie sehr belastet das den Wirtschaftsstandort und auch das Wirtschaftswachstum?Die Belastung ist schon ganz erheblich, obwohl es noch zu früh ist, um Wachstumseffekte identifizieren zu wollen. Allerdings stellen wir schon seit längerem fest, dass deutsche Unternehmen in stärkerem Maße im Ausland investieren. Das hat viele Gründe, in jüngerer Zeit sind die steuerlichen Gründe aber immer wichtiger geworden. Deutschland wird nicht nur bald an der Spitze der Unternehmenssteuerbelastung der OECD-Länder stehen. Wir sind bald auch die einzigen ohne Patentbox oder ähnliche Konstrukte, sodass Forschungsaktivitäten der Unternehmen trotz der neuen Forschungsförderung abzuwandern drohen. Vor allem die USA bieten nach der Steuerreform von Trump attraktive steuerliche Konditionen. Braucht es – zumal im aktuellen konjunkturellen Abschwung – eine große Unternehmenssteuerreform mit deutlich sinkenden Steuersätzen oder reichen kleinere, punktuelle Korrekturen?Eine Unternehmenssteuerreform ist derzeit nicht konjunkturpolitisch angezeigt. Dazu geht es der deutschen Wirtschaft in der Überauslastung der Kapazitäten zu gut. Sie ist aber strukturell notwendig – mit geringeren Sätzen, weil wir nicht Spitzenreiter in der Unternehmensbesteuerung sein wollen, und mit Korrekturen in der Bemessungsgrundlage, weil viele Ineffizienzen bestehen, zum Beispiel die fehlende Finanzierungsneutralität. Ist auch eine Reform der Einkommensteuer nötig? Was halten Sie davon, für eine Entlastung unterer und mittlerer Einkommen den Spitzensteuersatz anzuheben?Bei einer Anhebung des Spitzensteuersatzes muss man immer an die davon betroffenen Personengesellschaften, Einzelunternehmer und Selbstständigen denken. Ein höherer Spitzensteuersatz setzt für diese Unternehmen Anreize, weniger zu investieren. Das ist kontraproduktiv. Insgesamt ist die Progression der Einkommensteuer derzeit unschön, weil sie im unteren und mittleren Einkommensbereich stärker wirkt. Bei vollständiger Abschaffung des Solidaritätszuschlags könnte man gleichwohl eine leichte Anhebung im Spitzensteuersatz vertreten, solange dann die Gesamtbelastung für die von der Einkommensteuer erfassten Unternehmen sinkt. Die internationale Staatengemeinschaft ringt um eine globale Mindestbesteuerung für Unternehmen, speziell für die Internetgiganten – aber eine Einigung, die es bis Ende 2020 geben soll, scheint in weiter Ferne. Droht bei einem Scheitern eine weitere Verschärfung des globalen Steuerwettlaufs nach unten – eine Befürchtung, die auch viele angesichts des Brexits hegen?Eine Mindestbesteuerung ist die einzige Lösung, bei der die USA mitmachen würden. Alle anderen Vorstellungen, die im Zuge der OECD-Initiative diskutiert werden, sind problematisch und für Deutschland mit hohen Risiken verbunden. Bei einem Scheitern droht vor allem die Doppelbesteuerung. US-Präsident Donald Trump hat Frankreich mit Strafzöllen gedroht, als das Land mit einer Digitalsteuer vorpreschte. Wie gefährlich ist es, wenn die Steuerpolitik zum Instrument in den Handelskonflikten wird?Wenn man die Handelskonflikte weiter anheizen will, dann ergreift man solche unilateralen, auf bestimmte Unternehmen oder Länder zielende Maßnahmen wie die Digitalsteuer. Davon halte ich gar nichts. Das gilt im Übrigen auch für einen CO2-Grenzausgleich in der EU, der von den USA als Zoll begriffen werden muss. Die Fragen stellte Mark Schrörs.