Wirtschaft fürchtet unkoordinierte Einführung
wf Berlin
Rechtssicherheit, Administrierbarkeit und die Vermeidung von Doppelbesteuerung sind die zentralen Punkte, die die Wirtschaft bei der Einführung der neuen Weltsteuerordnung einfordert. Dies machte Oliver Nußbaum, Head of Tax der BASF, in einer Diskussionsrunde des Industrieverbands BDI und der Beratungsgesellschaft EY in Berlin deutlich. Eines der größten Probleme für multinationale Konzerne dürfte entstehen, wenn die beteiligten Länder die neuen Steuerregeln zu unterschiedlichen Zeitpunkten einführen, warnte Nußbaum. Auch Oliver Wehnert, Partner bei EY, rechnet mit erheblichen Folgen für die Unternehmen hierzulande, obwohl Deutschland bereits mit einem Außensteuerrecht vertraut ist. Die geplante Neuregelung gehe aber weit darüber hinaus. Auch Wehnert appellierte an die Politik, die Vorgaben gleichzeitig einzuführen, um Doppelbesteuerung für international tätige Firmen zu vermeiden.
Knapp 140 Länder stehen kurz vor der Einigung über eine neue Weltsteuerordnung. Die Arbeiten werden in der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, koordiniert. Angestoßen worden war das internationale Projekt durch das Ärgernis, dass große Digitallkonzerne wie Google, Amazon oder Facebook kaum Steuern in den Ländern zahlen, in denen sie ihre Dienste verkaufen. Das bisherige Steuersystem, bei dem der Fiskus an eine Betriebsstätte anknüpft, erwies sich im digitalen Zeitalter als überholt. Die Einführung von nationalen Digitalsteuern war die Antwort einer Reihe von Ländern. Im Fall von Frankreich führte dies zum Konflikt mit der US-Administration noch unter Präsident Donald Trump. Nach dem neuen Konzept sollen 100 besonders profitable Konzerne weltweit mit einem Umsatz von mehr als 20 Mrd. Euro unter ein neues Steuerregime fallen. Das Substrat, das auf den sogenannten Übergewinn anfällt, soll zwischen Absatzländern und Sitzland verteilt werden.
„Gute Aussichten“
Neben dieser ersten Säule der Reform soll eine zweite Reformsäule treten – die Einführung einer weltweiten Mindestbesteuerung von effektiv 15%. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte sich dafür starkgemacht. Er hofft, so den Steuerwettlauf nach unten zu stoppen (siehe Grafik). Die effektive Besteuerung ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Bemessungsgrundlage und Steuersatz. Bei der OECD-Sitzung am 30. Juni/1. Juli erwartet Martin Kreienbaum, Unterabteilungsleiter im Bundesfinanzministerium und Vorsitzender des OECD-Steuerungsausschusses, eine grundsätzliche Einigung der beteiligten Staaten. Die G20 aus führenden Industrie- und Schwellenländern dürfte dies bei ihrem Finanzministertreffen am 8. Juli in Venedig politisch untermauern. Kreienbaum verwies auf die sehr unterschiedlichen Interessen von Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern, zeigt sich aber zuversichtlich. „Wir haben gute Aussichten, diese Interessen unter einen Hut zu bringen“, sagte er. Im Herbst sollen dann erst die entscheidenden technischen Details verhandelt werden. Vieles ist noch unklar, weil es Teil der Verhandlungsmasse bis Ende Juni ist.
Für Christopher Ludwig, Researcher am Forschungsinstitut ZEW, kommt die Einführung der Mindeststeuer zu früh. Es gebe kein belastbares Zahlenmaterial zu der Frage, ob multinationale Konzerne tatsächlich Gewinne verschieben, um Steuern zu sparen, erklärte er. Die vorhandenen Daten stammten aus der Zeit vor der BEPS-Initiative (Base Erosion and Profit Shifting) zum Stopfen von Besteuerungslücken. Wehnert rechnet nicht mit zusätzlichen Steuereinnahmen in anderen als den Niedrigsteuerländern: Staaten mit geringen Steuern würden ihre Sätze erhöhen, um das Substrat nicht abfließen zu lassen. Nußbaum verwies auf die OECD-Auswirkungsstudie, die nur dann negative Folgen für die Weltkonjunktur durch die Reform ausschließt, wenn die nationalen Digitalsteuern abgeschafft werden. Dafür fordert der BDI einen „internationalen Konsens“. Dies dürfte schon in der EU schwierig werden. Im Sommer stellt die Brüsseler Kommission ihre Vorschläge für eine Digitalsteuer vor. Sie braucht diese Einnahmen, um daraus die Kredite aus der Covid-Pandemie zurückzuzahlen.