Wirtschaft schlägt sich wacker
0,06 Prozentpunkte weniger Wachstum – so schätzte das Ifo-Institut Anfang Februar vorigen Jahres die Folgen des Coronavirus-Ausbruchs in China für die deutsche Wirtschaft ein. Basis für die Schätzungen der Volkswirte und Institutionen, die alle in eine ähnliche Richtung gingen, war der Vergleich der zu erwartenden Epidemie mit der Sars-Epidemie des Jahres 2003. Nun, ein Jahr später, ist klar, dass ein zur Pandemie ausgeartete Virusausbruch die gesamte Weltwirtschaft auf die Bretter geschickt hat.
Die deutsche Wirtschaft verzeichnete 2020 mit –5,0% den zweitstärksten Wirtschaftseinbruch der Nachkriegszeit. Drastischer stürzte das Bruttoinlandsprodukt mit –5,7 % nur im Zuge der globalen Finanzkrise 2009 ab. Nach einem heftigen Schreck im Frühjahr 2020 zeigen sich Anleger inzwischen stoisch entspannt, die Finanzmärkte verzeichnen Rekordstände, und Ökonomen setzen auf eine schnelle Erholung. Als Blaupause gilt die kräftige Aufwärtsbewegung im dritten Quartal, dem ersten nach dem Ende des strikten Lockdowns im März und April. Mut macht auch, dass der zweite Lockdown die Wirtschaft nicht ganz so kräftig belastet wie der erste – jüngster Beleg dafür ist das Wachstum von 0,1% im Quartalsvergleich, den das Statistische Bundesamt für den Schlussabschnitt 2020 ausweist.
Dass Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern, die teils zweistellige Wirtschaftseinbrüche zu verkraften hatten, recht gut durch die Krise gekommen ist, liegt vor allem an der Industrie. Lange steckte sie in der Rezession und war eine Last für das Wachstum, doch seit dem Frühjahr weist der Trend nach oben. Die damals gestörten globalen Lieferketten sind wieder intakt oder ersetzt, die Nachfrage aus dem Ausland steigt, ein konstruktiver Umgang mit Corona ist im Arbeitsalltag implementiert.
Industrie stützt
Der aktuelle Lockdown wirkt sich derzeit im verarbeitenden Gewerbe, das für knapp 23% der Bruttowertschöpfung steht, kaum aus. Im November – für Dezember liegen noch keine Daten vor – haben Industrieproduktion und Auftragseingang trotz des erneuten Teil-Lockdowns zugelegt, die Orderbücher sind gut gefüllt, und die zwischenzeitlich befürchtete Stornierungswelle ist ausgeblieben. Auch die vom Ifo-Institut erhobenen Exporterwartungen sind intakt. Ökonomen erwarten, dass die robuste Industrie die dämpfenden Effekte der schwächelnden Dienstleister auf das Wirtschaftswachstum ausgleicht.
Der Dienstleistungssektor steht unter Dauerdruck. Insbesondere in den Bereichen Handel, Verkehr, Bewirtung, Freizeit, Kultur und Veranstaltungen lasten die erneuten Restriktionen schwer, wobei es durchaus Unterschiede gibt. Während der stationäre Einzelhandel – mit Ausnahme der Supermärkte – unter den Ladenschließungen leidet, verzeichnet der Online-Handel reges Geschäft. Der Einzelhandelsverband HDE fordert längst einen klaren Fahrplan zur Wiedereröffnung der Geschäfte und mahnt weitere staatliche Unterstützung an – sonst drohten ganze Innenstädte zu veröden.
Staatshilfen zeigen Wirkung
Die wirtschaftliche Not vieler Unternehmen spiegelt sich bislang aber noch nicht in einem Anstieg gemeldeter Unternehmensinsolvenzen. Dies liegt an der mittlerweile bis Ende April verlängerten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sowie den Liquiditätshilfen von Bund und Ländern. „Durch das bloße Aussetzen der Antragspflicht werden jedoch nicht die wahren Ursachen der Insolvenz bekämpft, sondern die Folgen der Krise nur zeitlich verschoben“, mahnt etwa Ifo-Experte Timo Wollmershäuser. Bei den eröffneten Regelinsolvenzverfahren hingegen zeichnet sich ein Anstieg ab. Zeitverzögert könnten steigende Insolvenzen auch den Finanzsektor hart treffen. Ökonomen erwarten angesichts der staatlichen Hilfen jedoch keine Pleitewelle wie nach der globalen Finanzkrise.
Kurzarbeit nimmt wieder zu
Dennoch steigen in der Bevölkerung wieder die Jobsorgen, auch wenn sich der Arbeitsmarkt bislang recht robust gezeigt hat. Seit Sommer zeigt sich bei der Beschäftigung ein Aufwärts- und bei der Arbeitslosigkeit ein Abwärtstrend. Die Stabilität des Jobmarkts beruht vor allem auf dem massiven Einsatz der Kurzarbeit, die nun wieder vermehrt in Anspruch genommen werden dürfte. Im November, so zeigen die jüngsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA), waren rund 2,24 Millionen Personen – das sind 4,7% der Erwerbstätigen – in Kurzarbeit. Dies ist der erste Anstieg seit April 2020, dem Monat, in dem mit knapp 6 Millionen Betroffenen der Höchststand an Kurzarbeit verzeichnet worden war. Via Kurzarbeit können nicht nur Unternehmen dringend nötige Fachkräfte halten, auch die Einkommen der Arbeitnehmer werden so gestützt. Dies wiederum kommt dem privaten Konsum zugute, auf dem die Wachstumshoffnungen ruhen, steht er doch für gut 51% des BIP.
Der Jahresstart zumindest gestaltet sich schwierig, zudem steigt auch die Unsicherheit nicht zuletzt wegen der unklaren Dauer des aktuellen Lockdowns wieder an. Für das Gesamtjahr erwarten Ökonomen ein Wachstum zwischen 3,0 und 4,8% – falls es gelingt, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Bei den Impfkampagnen aber ruckelt es gewaltig, und Mutationen bereiten Sorgen.