Labour versucht den Bondmarkt zu beruhigen
Labour versucht den Bondmarkt zu beruhigen
Wilde Spekulationen über höhere Ausgaben der öffentlichen Hand und Neudefinition der Staatsverschuldung
hip London
Die britische Schatzkanzlerin Rachel Reeves hat sich im Vergleich zu ihren Vorgängern reichlich Zeit für ihren ersten Haushaltsentwurf genommen. Erst am 30. Oktober wird sie ihn dem Unterhaus vorlegen. Bislang hielt sich die am 4. Juli gewählte Labour-Regierung mit Aussagen zu geplanten Investitionen ebenso zurück wie mit Hinweisen darauf, welche Steuern erhöht werden.
Unterdessen wurde bekannt, dass es im Kabinett von Premierminister Keir Starmer Streit um die Haushaltspolitik gibt. Angela Rayner, zu deren Verantwortungsbereich unter anderem der Wohnungsbau gehört, drängte Reeves, Milliarden für neue Sozialwohnungen lockerzumachen.
Wachsende Finanzierungslücke
Auch Justizministerin Shabana Mahmood und Verkehrsministerin Louise Haigh fordern höhere Budgets. Alle drei müssen sich auf Kürzungen einstellen. Denn mittlerweile ist in Whitehall von einer Finanzierungslücke von 40 Mrd. Pfund die Rede. Zuvor hatte Reeves gebetsmühlenhaft von einem 22 Mrd. Pfund tiefen schwarzen Loch in den öffentlichen Finanzen gesprochen.
Streitigkeiten um die Mittelverteilung sind an sich nicht ungewöhnlich. Doch werden sie selten so vehement nach außen getragen, schon gar nicht, wenn eine neue Regierung gerade erst ihre Arbeit aufgenommen hat.
Alternative Kennzahlen
Zudem haben Ideen dazu, wie sich an den ohnehin recht lockeren Fiskalregeln schrauben ließe, für Besorgnis gesorgt. Zum einen wird im Schatzamt überlegt, ob man nicht einfach die Verluste ausklammern sollte, die sich aus dem Quantitative Tightening der Bank of England ergeben. Das würde aber nicht viel mehr Spielraum schaffen.
Man könnte auch den neu eingerichteten Staatsfonds außerhalb der Bilanz laufen lassen. Deutlich mehr Potenzial hätte eine Neudefinition der Staatsverschuldung, ein Umstieg von „Public Sector Net Debt“ zu „Public Sector Net Worth“. Diese Kennzahl würde auch die Assets der öffentlichen Hand berücksichtigen, die durch schuldenfinanzierte Investitionen entstehen.
Erinnerungen an 2022
Das hat dazu geführt, dass am Bondmarkt Spekulationen über höhere Staatsausgaben ins Kraut schießen. Die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen stiegen von 3,75% Mitte September auf zeitweise mehr als 4,2%. Das weckte Erinnerungen an September 2022, als die Renditen in die Höhe schossen, nachdem Kwasi Kwarteng, der Schatzkanzler von Liz Truss, einen nicht gegenfinanzierten Mini-Haushalt vorlegte.
Ende vergangenen Jahres war man im Schatzamt zu dem Schluss gekommen, dass eine Ausweitung der Neuverschuldung um 25 Mrd. Pfund bzw. 1% des Bruttoinlandsprodukts zu einem Anstieg der Zinsen um 50 bis 125 Basispunkte führen könnte.
Schlecht für Hypothekenschuldner
Für Eigenheimbesitzer, die ihre Hypothek refinanzieren müssen, birgt das Ungemach. Denn die Zinsen von Wohnimmobiliendarlehen orientieren sich an den Renditen britischer Staatsanleihen. Eine ganze Reihe von Anbietern erhöhte deshalb zuletzt die Zinsen.
Finanzstaatssekretär Darren Jones versuchte die Bondmarktteilnehmer über die „Financial Times“ zu beruhigen. Die Regierung habe „Leitplanken“ für Investitionen aufgestellt. Eine Reihe von halbstaatlichen Organisationen und unabhängigen Aufpassern werde sicherstellen, dass zusätzlich aufgenommene Mittel sinnvoll investiert würden.
Zusätzliche Aufpasser
Dazu gehört die National Infrastructure & Service Transformation Authority (NISTA). Ein Office for Value of Money soll hinzukommen und für den vernünftigen Umgang mit öffentlichen Geldern sorgen.
Zu den Problemen der neuen Regierung gehört einem Whitehall-Insider zufolge, dass es keine Vision gibt, für die sie steht. Auch auf dem International Investment Summit hätten Starmer und Reeves „die gleichen Plattitüden, aber keine Details“ vorgetragen. Der Haushalt werde wenig Einzelheiten zur von Labour mit großer Fanfare angekündigten Industriepolitik bringen, fürchtete er.