Wirtschaftsweise dringen auf bessere Investitionsbedingungen
Investitionen gegen Wachstumsschwäche
Sachverständigenrat fordert Politik zu Strukturreformen auf – Kapitalmarkt ertüchtigen – Gesetzliche Rente reformieren
Die mittelfristigen Wachstumsaussichten in Deutschland sind so schlecht wie nie zuvor. In ihrem Jahresgutachten fordern die Wirtschaftsweisen von der Politik, den Strukturwandel zu unterstützen. Nötig seien geeignete Rahmenbedingungen für die Reallokation von Kapital und Arbeitskräften zu ihrem produktivsten Einsatz.
ahe/ba/wf Berlin
Mehr Investitionen in Deutschland sind für den Sachverständigenrat für Wirtschaft der Schlüssel, um die anhaltende Wachstumsschwäche zu überwinden. "Mittelfristig bremsen vor allem das sinkende Arbeitsvolumen, das niedrige Produktivitätswachstum, der veraltete Kapitalstock und die geringe Zahl junger innovativer Unternehmen das Wachstum in Deutschland", sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrats, Monika Schnitzer, vor der Presse in Berlin. Die Wachstumsaussichten Deutschlands für die nächsten Jahre seien auf einem historischen Tiefstand, halten die Wirtschaftsweisen in ihrem neuen Jahresgutachten fest. Bis 2028 werde das Produktionspotenzial nur noch um durchschnittlich 0,4% wachsen. Dies sei nur noch ein Drittel der 2010er Jahre.
Sinkendes Arbeitsvolumen
"Um das schwache Wachstum zu überwinden, muss die Investitionstätigkeit in Kapitalgüter gesteigert und der Rückgang des Arbeitsvolumens verlangsamt oder durch Digitalisierung und Automatisierung kompensiert werden", sagte Schnitzer. Die Politik müsse dafür die passenden Rahmenbedingungen schaffen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte bei der Übergabe des Gutachtens vor allem die langen Planungs- und Genehmigungsverfahren als Investitionshemmnis. Der Bund gehe dies nun mit den Ländern an.
Als einen zentralen Punkt dringen die Wirtschaftsweisen darauf, den Finanzmarkt hierzulande weiterzuentwickeln. Sie halten liquide Kapitalmärkte für zentral, um die Wachstumsschwäche zu überwinden und die Transformation zu finanzieren. Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier verwies darauf, dass vor allem junge Wachstumsunternehmen eine Finanzierung über den Kapitalmarkt benötigten. Die Ökonomin beklagte, dass die Bedeutung starker Kapitalmärkte in Deutschland lang nicht gesehen worden sei. "Aber jetzt ist es an der Zeit zu handeln, wenn wir das mittel- und langfristige Wachstum erhöhen wollen", sagte Malmendier der Börsen-Zeitung im Interview.
Die Wirtschaftsweisen sprechen sich zudem für eine umfassende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung aus. Sie empfehlen ein Bündel von Instrumenten – darunter eine aktienbasierte Vorsorge. Diese solle transparenter, weiter verbreitet und renditestärker sein als die bisherige Riester-Rente. Der Ausbau der kapitalgedeckten Altersvorsorge könne zudem die Finanzierungsmöglichkeiten über den Kapitalmarkt hierzulande beflügeln, sind die Wirtschaftsweisen überzeugt. Ein öffentlich verwalteter Altersvorsorgefonds als zusätzlicher Baustein würde zudem mehr Bürgern eine attraktive Anlagemöglichkeit am Kapitalmarkt bieten.
Längere Lebensarbeitszeit
Kernelemente der Vorschläge zur Rentenreform sind die die Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung – kombiniert mit der ergänzenden Kapitaldeckung. Zwischen den Generationen könne auch umverteilt werden, um die Lasten für die Jüngeren zu mildern. "Keine einzelne Reformoption reicht aus, um die Finanzierungsprobleme der GRV zu lösen", erklärte Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrats und Experte für Altersvorsorge. "Durch eine Bündelung von verschiedenen Einzelmaßnahmen lassen sich ihre Stärken kombinieren und soziale Härten vermeiden.“ Der Aufbau der kapitalgedeckten Altersvorsorge entfalte seine volle Wirkung allerdings erst langfristig.
Der Sachverständigenrat verspricht sich von der Bündelung der Maßnahmen mehr gesellschaftliche Akzeptanz. Einzelne Eingriffe müssten nicht so stark ausfallen. Hintergrund der Vorschläge ist die absehbare Belastung der gesetzlichen Versorgung. Mit dem Renteneintritt der Babyboomer in den kommenden Jahren droht ein sinkendes Sicherungsniveau bei stark steigenden Beitragssätzen.
Die Wirtschaftsweisen Veronika Grimm, Achim Truger, Monika Schnitzer (Vorsitzende), Martin Werding und Ulrike Malmendier präsentieren ihr Jahresgutachten 2023/24.